Kinderarmut in Deutschland

Gedanken zur Woche
Kinderarmut in Deutschland
03.06.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel

Bilder von Kindern in Not berühren. Es sind Aufnahmen von Mädchen und Jungen, die mit verzweifelter Miene und Tränen in den Augen die ganze Hoffnungslosigkeit ihres Lebens zum Ausdruck bringen.

 

In der letzten Zeit haben wir viele solcher Bilder von Kindern zu sehen bekommen. Es sind Bilder aus einem Flüchtlingslager an der syrischen Grenze oder in Griechenland. Von Rettungsbooten aus dem Mittelmeer. Und mitten aus Deutschland: In den Nachrichten das Bild eines kleinen Mädchens – es sitzt allein auf einem Zaun und starrt auf die trostlosen Fensterhöhlen der Wohnblocks, die sie umgeben. Mittwoch war Weltkindertag, das Bild geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Es steht seltsam unverbunden neben den guten Nachrichten vom Arbeitsmarkt in Deutschland. (1)

 

In dem Fernsehbeitrag wird von Lena berichtet, ein Mädchen im Grundschulalter, das mit ihrer Mutter in Berlin lebt. Lena ist ein aufgewecktes Kind, sie schaut neugierig in die Kamera und erzählt von ihrem großen Wunsch: eine Affenpuppe, die ihr die Mutter nicht kaufen kann.

 

Lena ist eines vom insgesamt anderthalb Millionen Kindern, die von staatlicher Hilfe leben müssen. In Berlin ist schon fast jedes dritte Kind unter 15 Jahren von Hartz IV abhängig. Und es werden von Jahr zu Jahr immer mehr, mittlerweile wächst jedes siebte Kind bei uns in Armut auf.

 

Betroffen sind besonders Kinder von Alleinerziehenden. Ihnen geht es so wie Lena, die im Fernsehen gezeigt wurde. Ihre Mutter findet keine Arbeit, weil sie als Alleinerziehende niemand einstellen will. Sie muss jeden Cent umdrehen und Sonderwünsche sind eben nicht drin. Das übliche Kindergeld bekommt die Mutter von Lena nicht, es wird wie bei allen Hartz-IV-Empfängern mit den Sozialleistungen verrechnet.

 

Genau das ist der Skandal, der Lena nun ins Fernsehen gebracht hat. Nämlich die Tatsache, dass gerade die armen Kinder vom Kindergeld ausgeschlossen werden. Während wohlhabende Familien die Unterstützung einstreichen, über Kinderfreibeträge sogar noch zusätzlich Steuern sparen – bleiben die Familien der Hartz-IV-Empfänger außen vor. Sie sind doppelt benachteiligt.

 

Für kirchliche Organisationen, Sozialverbände und Experten ist das ein Skandal, auf den sie zum Weltkindertag aufmerksam gemacht haben. Kinderarmut in Deutschland darf nicht als Strukturproblem hingenommen werden – die staatlichen Leistungen für Kinder in Deutschland sind ungerecht. Gerade die Kinder von Eltern in Notlagen brauchen die Unterstützung in erster Linie. Gerade ihnen muss geholfen werden, damit Armut sich nicht vererbt, weil ihre Chancen um vieles schlechter sind.

 

Zu den Unterzeichnern des Appells gehört auch Nikolaus Schneider, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er hat nicht nur die Benachteiligung bei der Zahlung von Kindergeld kritisiert, sondern insgesamt eine Gesellschaft eingefordert, „der jedes Kind gleich viel wert ist“. (2)

 

Und diese Forderung hat für Christen guten Grund. Bei jeder Taufe, mit der Kinder in die Kirche aufgenommen werden, wird das Kinderevangelium vorgetragen. Darin sagt Jesus den Satz: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Reich Gottes.“ Für Christen ist die Taufe gleichzeitig eine Selbstverpflichtung der Gemeinde. Man verspricht, auf die Kinder der Gemeinde zu achten. Die Taufe ist nicht nur eine Bitte um den Segen Gottes, sondern auch ein Bekenntnis zur eigenen Mitverantwortung für die Kinder.

 

Als Christen dürfen wir es deshalb nicht hinnehmen, wenn Kinder in die Armutsfalle gedrängt werden und notwendige Hilfe unterlassen wird. Deshalb sind Bilder wie das von Lena so wichtig. Sie öffnen die Fenster für unseren Blick als Mitmenschen auf die Kinder: Jedes von ihnen ist gleich viel wert. Mitten in Deutschland wie überall auf der Welt.

 

Wenn Sie mit mir über Kinderarmut sprechen wollen, Sie erreichen mich bis 8 Uhr unter der Nummer 030 – 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter ‚deutschlandradio-Punkt-evangelisch’.

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27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel