Luther, Müntzer und der IS

Gruppenzelle im Gefängnis auf Robben Island

Gemeinfrei via pixabay.com (ludi)

Luther, Müntzer und der IS
03.11.2017 - 06:35
02.11.2017
Jörg Machel
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„Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ So skandierten die Bauern gegen Adel und Klerus und eine ganze Weile meinten sie, Martin Luther an ihrer Seite zu haben. Als es zu Ausschreitungen kam, stand nur noch Thomas Müntzer zu ihnen, Luther wünschte den aufständischen Bauern Tod und Teufel an den Hals. Meine erste Lektüre über die Zeit der Reformation war die Müntzer-Biografie von Ernst Bloch, und darin kommt der sonst so gefeierte Reformator Luther schlecht weg. Genüsslich zitiert Bloch den Revoluzzer Müntzer, der Luther das „geistlose und sanftlebende Fleisch zu Wittenberg“ nennt. 

 

Als Student in den siebziger Jahren sah ich mich an der Seite Müntzers. Da war die Not und Ungerechtigkeit, unter der die Bauern litten; und da war Luther, der zwar gegen Rom opponierte, sich dabei aber immer wieder auf die Seite des ihn schützenden Adels schlug. Heute verstehe ich Luthers Vorbehalte gegen die aufständischen Bauern besser. Die Bauern sangen auch: „Spieß voran, drauf und dran, setzt auf’s Klosterdach den roten Hahn!“ Und sie plünderten, brandschatzten und vergewaltigten. Einige verfielen einem religiösen Wahn und meinten, das Gottesreich herbeimorden zu können.

 

Wenn ich heute auf den IS und manch andere islamistische Bewegung schaue, erkenne ich ganz ähnliche Denk- und Handlungsmuster wie bei den Schwärmern der Reformationszeit. Am Anfang steht die Empörung über haarsträubende Ungerechtigkeiten, die sich überall finden lassen. Und das ist der Boden, auf dem radikale Prediger ihre Anhänger sammeln. Je aussichtsloser die Verhältnisse, je unübersichtlicher die Lage, um so größer ist die Bereitschaft, einer extremen, auf Gottes Wunderhandeln hoffenden Ideologie zu folgen. Mit Sensen und Gabeln zogen die Bauern mit Thomas Müntzer gegen ein gutgerüstetes Heer und meinten, mit Gottes Hilfe am Ende zu siegen. Auf jeden Fall glaubten sie, für Gottes Sache zu kämpfen und deshalb des Paradieses sicher zu sein. Daran muss ich denken, wenn sich junge Menschen immer wieder in die Fänge des IS begeben und ihre Wut mit der Hoffnung auf einen göttlichen Sieg und ihre persönliche Erlösung verbinden.

 

Um uns vor Terroranschlägen wie jüngst in New York zu schützen, muss zunächst der Staat handeln. Und es ist gut, wenn wie in Schwerin, schon die potentiellen Attentäter überführt werden. Dabei kann ich verstehen, dass man diese menschenverachtenden Mörder einfach nur bestraft, am besten auf immer weggesperrt wissen möchte.

 

Das aber genügt nicht – denn sie wachsen immer wieder nach! Ich denke, wir müssen mit den gefährdeten Kindern und Jugendlichen, die sich in ihrer Empörung über den Zustand dieser Welt zu absurden Welterklärungen verleiten lassen, über deren Verletzungen reden. Es hilft nicht, ihnen mit Aggression oder Hass zu begegnen. Wir müssen ihnen Aufmerksamkeit schenken. Dazu ist es nötig, genau hinzuschauen und gut zuzuhören, statt sich zu entrüsten und nur auf Härte zu setzen – damit aus Gefährdeten keine Gefährder werden.

 

Im Spiegel der Geschichte sind die Bauern, die auf den Schlachtfeldern hingemetzelt wurden, nicht nur die Verbrecher, die Luther in ihnen sehen wollte. Es sind verblendete und verführte Desperados, Hoffnungsberaubte, die einem falschen Welt- und Gottesbild gefolgt sind. Den Kampf gegen all die radikalen Gruppierungen, die sich auf Gott berufen und die uns den „Heiligen Krieg“ erklären, werden wir nicht auf dem Schlachtfeld gewinnen, sondern nur, indem wir ihnen eine überzeugendere Weltdeutung anbieten.

 

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02.11.2017
Jörg Machel