Johannes

Morgenandacht

Gemeinfrei via wikimedia commons/ Johannes der Täufer beim Gebet Juan van der Hamen y León, 1620–1622 184 cm × 143,5 cm Öl auf Leinwand

Johannes
07.12.2021 - 06:35
15.09.2021
Silke Niemeyer
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Ich bin nicht sicher, ob ich ihn mag, diesen Mann: ein Weltverbesserer, humorlos, kompromisslos, streng. Ein Publikumsbeschimpfer, anklagend, verurteilend, skurril. In abgefahrenen Klamotten tritt er auf. Ernährt sich merkwürdig. Verwahrlost oder exzentrisch? Schwer zu sagen. Ein asketischer, zauseliger Aussteiger. Er ist nicht gewinnend, er ist nicht diplomatisch, er ist nicht freundlich. Und er will das alles auch gar nicht sein.

 

Der Mann hat eine Mission, und von der ist er getrieben, geradezu besessen. Er predigt seine radikale Moral – radikal heißt: an die Wurzel gehend. Bei ihm hört sich das so an: Die Axt ist an die Wurzel gelegt! Ändert euer Leben!

Die einen finden, er ist krank im Kopf. Andere finden, er ist ein gefährlicher Fanatiker. Wieder andere finden, er ist ein Prophet.

 

Er zieht jedenfalls die Volksmassen an. In Scharen pilgern sie zu ihm, wie zu einer großen Demo, und sie lassen sich freiwillig von ihm beschimpfen: Ihr Schlangenbrut! Ihr werdet dem Unheil nicht entkommen! Handelt - und macht euch nicht weiter was vor. Sagt nicht: Was kann uns schon passieren. Wiegt euch nicht in Sicherheit. Ihr spürt doch schon, wie das scharfe Beil an eurer Wurzel ritzt. Wenn ihr nichts ändert, haut es euch um, ehe ihr euch’s verseht.

 

Er fasziniert. Nicht trotz, sondern wegen dieser Radikalität. Sie hat für viele etwas Erlösendes.

Was aber ist erlösend daran, wenn man so weltuntergänglerisch und schwarzmalerisch daherkommt? Meine Vermutung: dass hier wer ausspricht, was alle dumpf spüren: Dass es wirklich nicht so weitergeht.

Er zieht es durch: Macht die allgemeine Selbstberuhigung nicht mit. Gibt so gar nichts darauf anzukommen oder beliebt zu sein oder zu einer Gruppe oder einer Partei zu gehören. Seine einsame Opposition.

 

Es gibt Zeiten, die schreien nach solchen Menschen, nach den spröden, den bitterernsten, bei denen jeder Spaß aufhört, nach den unbeugsamen, mit denen nicht zu verhandeln ist, nach den unbestechlichen, deren Konsequenz nicht auszuhalten, ja fast schon peinlich ist. Solche wie er machen einen aggressiv mit ihrer hohen Moral und ihrer tiefen Kompromisslosigkeit.

 

Was sollen wir denn tun, haben die Leute ihn gefragt. Ja, das ist wirklich die Frage. Was sollen wir tun? Das fragen alle, das fragen die Zöllner, das fragen die Soldaten. Das fragen auch die Piloten. Auch die Bauern. Auch die Banker. Was sollen wir tun?

Gut, dass sie das fragen. Er holt sie aus der Gleichgültigkeit und aus dem fatalen Gefühl, eh nichts tun zu können.

Sie feiern ihn als Hoffnungsträger.

 

Da hören seine Endzeittiraden auf. Er wird ganz pragmatisch: Wenn ihr zwei Mäntel habt,  gebt einen denen, die keinen haben, sagt er. Und mit dem Essen macht es ebenso. So schlicht. Er sagt den Zöllnern nicht: gebt euren Beruf auf. Er sagt ihnen: Übervorteilt keinen. Haltet euch an die Gesetze. Den Soldaten sagt er nicht: Werft die Waffen weg. Vielmehr: Hütet euch vor Gewalt und Erpressung! Damit fangt an. Tut, was recht ist.

Das ist nicht nichts in einem Land, in dem einem für solche Reden der Kopf abgeschnitten wird. Das machen die Todesschwadronen nämlich mit ihm. Aber erst später. Noch nicht.

 

Noch hat das Volk Hoffnungen und fragt sich, ob er nicht der Retter ist, ihr Befreier, ihr Messias.

Ich bin es nicht, sagt er klipp und klar. Es kommt einer, der ist stärker als ich. Er relativiert sich selbst, sieht die Vorläufigkeit dessen, was er macht. Das finde ich bewundernswert an ihm. Er ist der Wegweiser und Wegbereiter, er ist nicht der Weg. So sieht er das.

 

Ich spreche von Johannes, genannt „der Täufer“. Manche nennen ihn den Vorläufer von Jesus. Jesus hat Johannes neben sich gesehen, beide auf ihre Weise Wegbereiter dafür, dass Gott in der Welt ankommt.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.09.2021
Silke Niemeyer