Gabriel

Morgenandacht

Gemeinfrei via wikimedia commons/ Sandro Botticelli - The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing

Gabriel
08.12.2021 - 06:35
15.09.2021
Silke Niemeyer
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Er ist ein kräftiger Kerl. Einer, der andere einschüchtern kann. Er ist weder aus Zucker, noch lässt er sich vernaschen. Er ist von Beruf Botschafter. In dieser Position ist er ziemlich viel unterwegs in der Welt, aber er fliegt nicht gern. Überhaupt kämpft er mit den ganzen Klischees, die seiner Berufsgruppe angeheftet werden. Die Leute meinen oft, er könne an allen Orten gleichzeitig sein. Viele sehen in ihm sowas wie einen starken Alleskönner. Aber das ist er gar nicht, auch wenn sein Name das nahelegen könnte.

 

Er heißt Gabriel. Darin steckt Kraft. Auf Deutsch bedeutet das „Gottes Starker“.  Gabriel ist Engel. Wieder so ein Wort, das man übersetzen muss. Es kommt vom griechischen „Angelos“, und das bedeutet einfach „Bote“. „Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein“ heißt es in einem bekannten Gedicht (2), und man darf ergänzen: Es können auch Frauen mit festen Schuhen sein. Man erkennt Engel nicht an irgendwelchem Schnickschnack. Man erkennt sie an dem, was sie zu sagen haben. Man erkennt sie daran, dass sie im rechten Moment da sind, um den Mund aufzumachen oder sonst wie einzugreifen.

 

Der Engel Gabriel tritt im Lukasevangelium auf, um zwei Geburten anzukündigen: die von Johannes, dem Täufer, und die von Jesus. Dazu besucht er erst Zacharias, den Vater von Johannes, und dann Maria, die Mutter von Jesus. So ein Engelbesuch in der Bibel hat wenig Possierliches an sich. Gabriel ist kein Glücksbringer oder Bodyguard. Zacharias verliert vorübergehend seine Stimme. Er hat dem Engel nicht geglaubt, und darum schlägt dieser ihn mit Stummheit, bis zur Geburt von Johannes. Gabriels Besuch bei Maria fällt zarter aus. Trotzdem lenkt er Marias Leben nicht in glückliche und geordnete Bahnen. Ganz im Gegenteil. Diese außereheliche Schwangerschaft, die er Maria ankündigt: sie bringt Gefahr und Demütigung über sie, ganz zu schweigen von dem Leid, das das Geschick dieses Sohnes ihr bringen wird.

 

„Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Es ist dies einer der beliebtesten Sätze aus der Bibel. Kein Wunder. Er findet Resonanz in der Seele, die sich ängstigt vor Krankheiten, Kriegen und Katastrophen, die so gern beschützt und geborgen sein möchte und sich selbst diesen ersehnten Schutz nicht geben kann. Ich verstehe das, weil ich den Wunsch bei mir selbst kenne, wenn ich verängstigt bin. Trotzdem: Ich weiß, dass da keine Engel sind, die mir immer den Weg freimachen und allen Schaden von mir fernhalten. Das war bisher nicht meine Erfahrung, und ich weiß, dass ich auch in Zukunft werde Leid aushalten müssen.

 

„Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Der Satz über Gottes Engel kommt aus dem Mund eines Menschen, der vom Grauen der Nacht spricht, von Pfeilen, die am Tag fliegen und von der Seuche, die am Mittag schleicht - er kennt und teilt dies mit vielen Menschen heute. Und er erlebt: Gott bewahrt nicht vor Unheil. Er bewahrt im Unheil. So glaube ich es auch, so mag ich es weiter glauben. Auch das kann ich nicht immer, aber ich bete darum.

 

Die Vorstellung vom lieben Gott, der seine Engel schickt, die einen vor allem bewahren, ist für mich eine Illusion. Wie soll man das denn glauben, wenn man auf Jesus schaut, der vor gar nichts bewahrt wurde – am ersten Tag seines Lebens nicht davor, ohne Obdach und Bett zu sein, und am letzten Tag seines Lebens nicht davor, am Kreuz zu krepieren. Kein rettender Engel weit und breit.

 

Halt doch. Da sind die Hirten, die zum Kind in der Krippe eilen und es ehren. Da ist später jene namenlose Frau, die Jesus salbt, da ist Simon, der ihm das Kreuz trägt, da ist der Gekreuzigte neben Jesus, der tröstende Worte für den Leidensgenossen hat. Wie gesagt: Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.

 

Literaturangaben:

 

  1. https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/gabriel-1/ch/5f55421e0461c5174ee2893b256d8bf9/
  2. Rudolf Otto Wiemer: Die Engel

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.09.2021
Silke Niemeyer