Abraham

Morgenandacht
Abraham
Migrant auf Gottes Geheiß
27.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin i.R. Angelika Obert

Krieg ist ein Grund, die Heimat zu verlassen. Verfolgung auch. Hunger und Armut – das sind verständliche Gründe, allerdings: Asyl gibt es dafür nicht. Was aber, wenn nun jemand käme und einfach sagte: „Gott hat mir die Migration befohlen. Ich folge einer Verheißung.“ Das wäre wohl verrückt.

 

Dann fängt sie also verrückt an, die Geschichte der Juden, der Christen und der Muslime. Denn sie fängt an mit Abraham, zu dem Gott spricht: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (Gen. 12,1) Und weiter heißt es da: „Ich will dich segnen und in dir sollen gesegnet sein alle Völker auf Erden.“

 

Ob Abraham das wirklich so gehört hat? Das müssen wir nicht annehmen. Es reicht zu wissen: Diejenigen, die sich auf Abraham beriefen und seine Geschichte erzählten, waren davon überzeugt: Gottes Segen ist bei denen, die aufbrechen aus ihrem Vaterland, aus ihrer Verwandtschaft, ihrem Vaterhaus. Gott ist kein Freund von Garten- und Grenzzäunen. Er ist nicht der Wächter über den Besitz der Sesshaften. Gott ist den Gehenden nah, weil sie offen sein müssen für das Unbekannte und Fremde. Da, wo alles schon geregelt ist und die Menschen über alles Bescheid wissen, rückt Gott fern, denn er lässt sich ja nicht regeln, er ist jenseits des Bescheidwissens. Darum ist Gott denen näher, die bereit sind zu immer neuen Erfahrungen. Den Gehenden. Sicher kann man Gehen auch im übertragenen Sinn verstehen. Man kann schließlich auch innerlich aufbrechen.

 

Aber die Bibel erzählt eine reale Migrationsgeschichte, um Gottes Nähe zu den Gehenden zu beschreiben. Abrahams Weg führt durch Wüstenstaub und Dürre, durch Zweifel und Gefahr. Von Gottes Segen ist da lange nichts zu merken. Einmal in großer Hungersnot muss Abraham in Ägypten um Asyl bitten. Natürlich ist er nicht so verrückt zu sagen, er sei im Namen Gottes unterwegs. Er macht es wie manche andern Asylbewerber auch. Er schummelt. Er gibt sein schöne Frau Sara als seine Schwester aus. Er lässt sie im Harem des Pharao verschwinden. Da ist sie gut versorgt – und er, als scheinbarer Bruder, auch. Zum Glück merkt es der Pharao von selbst, dass er Sara lieber nicht anrühren sollte. Vielmehr: Gott lässt es ihn merken. Abraham kommt ungestraft davon, denn der Pharao ist ein gottesfürchtiger Mann.

 

In der biblischen Erzählung ist der Migrant Abraham nicht immer der Gute und nicht immer sind die Sesshaften die Bösen. Gott kann auch bei denen sein, die die Gehenden großzügig aufnehmen.

 

Es ist auch nicht so, dass der Migrant immer nur auf Hilfe angewiesen ist. Als ob er nichts zu geben hätte. Die Legende erzählt, dass Abrahams Zelt Türen hatte in allen Himmelsrichtungen und dass sie immer offen standen. Egal, ob jemand von Ost oder West, von Nord oder Süd kam, er sollte schon von fern erkennen: Hier findet er Zuflucht.

 

So sind denn auch die drei fremden Männer willkommen, die an einem heißen Nachmittag wie aus dem Nichts plötzlich vor Abrahams Zelt auftauchen. Unangekündigt, unerwartet.

 

Obwohl Abraham und Sara da schon sehr alt sind, man möchte meinen, fremde Männer vor der Haustür wären ihnen da doch unheimlich gewesen. Plötzlicher Besuch hätte sie überfordert. Heute wäre es ja so.

 

Damals nicht. Fürstlich werden die drei Fremden bewirtet. Und am Ende des gemeinsamen Mahls haben sie eine Botschaft: Die Verheißung, die so lange unerfüllt blieb, jetzt wird sie sich erfüllen. Der Sohn wird geboren werden, mit dem die Geschichte weiter gehen kann: „In dir sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden.“

 

Juden, Christen, Muslime – sie berufen sich auf Abraham. Sie lernen aus seiner Geschichte, wie Gott auf zweierlei Weise erfahren werden kann: Nahe kommt er den Gehenden, nahe kommt er auch denen, die in einem offenen Zelt wohnen.

16.06.2015
Pfarrerin i.R. Angelika Obert