Das Blümelein so kleine und die große Hoffnung

Morgenandacht
Das Blümelein so kleine und die große Hoffnung
24.12.2019 - 06:35
18.07.2019
Heidrun Dörken
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An einem kalten Tag im Advent habe ich sie geschenkt bekommen: „Hier, für Dich! Eine Blume, die im Winter blüht.“

Es ist eine Christrose. Ein Weihnachtslied hat sie zum Vorbild. „Es ist ein Ros entsprungen“ – das Lied vergleicht die Geburt Jesu mit einer solchen Rose. Sie geht aus einer alten Wurzel hervor, mitten im kalten Winter: „Das Blümlein, so kleine, das duftet uns so süß. Mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis“.

Ja, meine Christrose leuchtet richtig in all dem Grau. Sie hat tiefgrüne Blätter und zarte weißen Blüten, mit gelben Staubgefäßen in der Mitte. Die Christrose ist so besonders, weil sie blüht, wenn alles andere erstorben scheint. In der Advents- und Weihnachtszeit fängt sie an. Sie übersteht hartes Wetter, Schnee und Eis. Blüht auf und leuchtet. So wurde sie zum Zeichen: Das Leben blüht neu.

Dazu passen ihre inneren Werte. Seit der Antike gilt sie als Heilpflanze, besonders bei Melancholie. Allerdings war damals schon bekannt, dass es auf die Dosis ankommt. Etwas zu viel ist giftig. Heute ist die Christrose von Menschen bedroht. Sie steht auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen. Im Alpenraum, wo sie in der Natur zuhause ist, wird sie immer wieder gepflückt oder ausgegraben, obwohl man sie doch als Gartenpflanze kaufen kann. Mehr Respekt bringen ihr Dichtungen, Legenden und Märchen entgegen. In vielen geht es um Heilung und Versöhnung durch diese geheimnisvolle Blume, die auch noch im Dunklen leuchtet.

Blumen im Winter zu sehen, das ist ein Geschenk. In winterlichen Zeiten, die in mancher Hinsicht bedrohlich sind, heißt es: Auf das sehen, was neu in die Welt kommt und auf den ersten Blick unscheinbar ist. Es heißt Hoffnung.

Ich denke an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die dieses Jahr geprägt haben. Sie haben Geschichte geschrieben. Sie haben viele aufgerüttelt, auch mich. An den Freitagen für die Zukunft, bei Fridays for future, mit ihren unbequemen Forderungen und Fragen. Ich habe bei einer Kundgebung eine junge Frau angesprochen. Fürchtet euch! stand auf ihrem selbstgemalten Schild. Sie hat gesagt: „Das mit dem Fürchten ist schon krass. Aber es muss stark sein, was wir sagen, irgendwie verstören. Sonst machen alle weiter und schauen zu, wie Klima, Tiere und Pflanzen leiden. Und wir und unsere Zukunft.“

Mit den jungen Leuten bin ich in den letzten Wochen ins Gespräch gekommen. Und habe gemerkt: Die Jugendlichen sehen nicht nur den drohenden Weltuntergang. Und schon gar nicht reden sie ihn herbei. Sie haben ihr Leben vor sich und wollen es gestalten! Das wird ausgerechnet dann klar, als wir über Weihnachten sprechen. Was es ihnen bedeutet. Einige von den jungen Leuten sind Christen, andere nicht. Sie meinen alle: Weihnachten ist für sie Zusammensein mit Leuten, die man mag. Doch für die meisten ist es viel mehr. Ich staune, dass einige sagen: Es geht um Hoffnung. Ja, sie haben das wörtlich so gesagt: „Weihnachten ist Hoffnung. Dass es doch gut wird.“

Der Engel in der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium hat von Angst und Sorgen gewusst. Deshalb ist seine Botschaft an die Hirten auf dem Feld in dunkler Nacht: Fürchtet euch nicht! Heute, Heiligabend, ist die Botschaft der Engel von der Geburt Jesu Christi zu hören und zu erleben in den Gottesdiensten, auch hier im Deutschlandfunk um siebzehn Uhr fünf.

Und meine Christrose? Was hatte der gesagt, der sie mir geschenkt hat? Hier, für dich! Eine Blume im Winter. Sie wird mich noch lange an die große Hoffnung erinnern.

 

Das Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ steht im Evangelischen Gesangbuch, Nr. 30

Beispiel für die Christrose in der Literatur: Ludwig Ganghofer, Der Klosterjäger, 1892: Die Schneerose als Symbol ewigen Lebens und Heilmittel; Selma Lagerlöfs Legende von der Christrose, 1908, es geht um Gnade für eine Räubermutter dank der Blume im Weihnachtsgarten im dunklen Wald; Christian Signol, Wenn die Christrose blüht, 2002, Heilung von Leukämie.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Heidrun Dörken