Die Angst loslassen

Morgenandacht
Die Angst loslassen
22.07.2020 - 06:35
25.06.2020
Angelika Obert
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Wenn alles sich um die Gesundheit dreht, kann man sich auch gegenseitig verrückt machen. Völlig besessen sein von Angst und Sorge. Das ist nicht erst heute so. Davon erzählt auch schon eine Heilungsgeschichte in der Bibel. Um einen Vater geht es, der alles richtig machen will – und gerade darum etwas Wesentliches falsch macht.

 

Stolz und glücklich war er bei der Geburt seines Sohnes. Was für ein schönes Kind! Schon träumte er von dem tollen Jungen, den er da an seiner Seite haben würde und was aus ihm alles werden könnte. Malte sich aus, was sie zusammen anstellen würden – angeln, klettern, zelten. Aber dann wurde alles so bitter anders. Das Kind war nicht wie andere Kinder. Was für ein Schrecken, als es den ersten Anfall bekam, einfach hinstürzte, krampfte, grunzte, mit Spucke vor dem Mund. Vielleicht, dass es sich auswächst, hofften die Eltern. So war‘s nicht. Die Anfälle kamen wieder, manchmal stürzte der Junge sehr gefährlich, die ganze Familie war nun ständig in Angst. Besonders der Vater. Es darf nicht sein, er muss doch gesund werden, es muss doch möglich sein – ja, von diesem Gedanken war er nun besessen. Er konnte es einfach nicht mit ansehen, wie das Kind litt. Aber natürlich litt er auch selbst. Er hatte sich das alles so ganz anders vorgestellt. Auf diesen Sohn konnte er nicht stolz sein. Er erregte bloß Mitleid bei den Nachbarn – und manchmal, der Vater sah es wohl, auch so etwas wie Abscheu, wenn er da wieder lag mit Spucke vorm Mund.

 

Nichts ließ der Vater unversucht. Wo immer er von einem Arzt hörte, der einen guten Ruf hatte, nahm er den Jungen und reiste hin. Es half nichts. Es wurde schlimmer auf jeder Arztreise, nach jedem Arztbesuch. Der Vater immer verzweifelter und auch immer wütender – auf die Ärzte, die nichts konnten, auf die Krankheit, und insgeheim auch auf das kranke Kind, seine große Lebenslast. Was soll nur werden? Wär‘s nicht besser gewesen, der Junge wäre gar nicht auf der Welt? Doch, das dachte er schon manchmal.

Und der stumme, kranke Junge an seiner Seite wusste es. Spürte es Tag für Tag: Ich bin das Problem für meinen Vater. Die Enttäuschung. Die Last, unter der er leidet. Und längst lagen nicht nur seine Glieder im Krampf, alles in ihm war zusammengezogen. Und wo immer sein Vater ihn wieder einem Arzt präsentierte, überfiel‘s ihn, er bekam einen Anfall.

 

Schließlich hörten sie auch von dem Rabbi, der heilen konnte, Jesus. Nicht mehr viel Hoffnung hatte der Vater, aber unversucht sollte nichts bleiben. Als erstes stieß er auf die Schüler von Jesus. Sie waren hilflos, als der Junge gleich wieder seinen Anfall bekam. Und so war der Vater auch schon ziemlich in Panik, als er dann schließlich bei Jesus ankam: „Wenn du was kannst, dann hilf uns!“ forderte er. Jesus lässt sich nun nicht kommandieren. „Du bist es, der alles ändern könnte“, erklärt er dem Vater, „wenn du nur glauben wolltest, wär‘ dir das möglich...“

 

Glauben? Was soll das heißen? Das scheint der Vater in der Begegnung mit Jesus zu verstehen: Glauben, das heißt nicht, von Gott das gesunde Kind zu fordern. Glauben, das heißt, zu wissen: Gottes Ja gilt auch dem kranken Kind. Wenn er nur Gott vertrauen wollte, dann würde er auch Vertrauen in das Leben dieses Kindes haben. Ihm etwas zutrauen und es nicht ständig mit Panik in den Augen anschauen. „Ich glaube,“ sagt der Vater, „hilf meinem Unglauben.“

 

Er weiß schon, so ganz wird er‘s nicht hinkriegen, die Angst loszulassen. Aber es scheint genug zu sein, dass er‘s überhaupt versteht: Nicht mein Sohn ist das Problem, ich bin‘s. Ich mache ihn verrückt mit meiner Angst. Noch einmal wird der Junge schrecklich geschüttelt, aber dann ist er erlöst vom Vatergeist. Endlich darf er ruhig sein, wie er ist.

 

Heilung, lerne ich aus der Geschichte, kann gerade damit anfangen, dass ich die Krankheit nicht weghaben will. Ist das möglich? Alles ist möglich, heißt es in der Geschichte. Alles ist möglich dem, der da glaubt. An Gottes Ja zu jedem Menschen.

25.06.2020
Angelika Obert