Die Nacht ist vorgedrungen

Morgenandacht
Die Nacht ist vorgedrungen
09.12.2020 - 06:35
04.12.2020
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum nachlesen: 

 

Die Farbe des Advents ist lila - wie in der Passionszeit. In den Kirchen sind die Kanzel- oder Altarparamente in dieser Zeit violett. Wie in der Passionszeit geht es im Advent um Besinnung, um Ernst und Umkehr. Ein Adventslied von Jochen Klepper ist so protestantisch-lila:

Musik: Die Nacht ist vorgedrungen (EG 16)

Kein leichtes Lied, zugegeben. Und manche meinen, dieses Lied störe die Weihnachtsstimmung. Dabei enden alle Strophen positiv: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ oder: „Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

Sprecherin:

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!

So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“

Auch wer nachts geweint hat, schlaflos zwischen halb drei und vier, aus welchem Grund auch immer, stimme ins Gotteslob ein. Der Morgenstern bescheint auch die Tränen.

Sprecherin 3:

„Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll gerettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.“

Auch wer schuldig geworden ist, nun nicht, weil ein Riegel Marzipan zu viel gegessen wurde, nein: wer Verrat geübt oder massiv betrogen hat, wer anderen Schaden zugefügt hat, soll errettet werden, wenn er dem Kind glaubt.

Am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr, der Advent ist ein Neustart. Im trüben November denken manche: „Was soll jetzt noch kommen?“ – der Advent setzt auf Neuanfang. Angst und Pein sind nicht weg, ich sehe sie jedoch in einem anderen Licht. Auch meine Schuld ist nicht verschwunden, aber ich bin nicht mehr drauf fixiert.

Wie kitschig unsere „Zweiglein der Gottseligkeit“ auch sein mögen, die Weihnachtsdeko, die Adventskränze und -kalender, zeigen: die Wochen vor Weihnachten sind eine besondere Zeit. Ein Neuanfang wird gespielt, etwas anderes liegt in der Luft:   Erwartung, Hoffnung und Lob.

Aber machen wir uns nichts vor:

Sprecherin:

„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.

Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.

Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,

von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

 

Noch manche Nacht wird fallen. Als Klepper dies dichtete, 1937, wusste er, wie Nacht sich anfühlt. Wegen seiner jüdischen Frau hatte er bereits 1933         seine Stellung beim Rundfunk verloren. Und wenig später eine bei einem Verlag. Trotz eines erfolgreichen Romans über den Preußenkönig „Der Vater“ wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Das bedeutete weitgehend Berufsverbot. Und er sah, welcher Trug sich in Deutschland zusammenbraute. In einem Gedicht formuliert er:

 

Sprecherin:

„Die Völker stehen ganz erstarrt in Waffen, und der gilt viel, der neuen Tod erdenkt.“

Klepper kennt die Nacht, benennt sie und dichtet ein Dennoch:

Sprecherin:

„Die Welt in Waffen ist gar sehr entkräftet, und mancher sieht den Trug in ihrer Macht. Nur wer das Kreuz sieht, hat von fern verstanden …“

Im Lied ist das Dennoch: der Stern der Gotteshuld. „Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“ Denn Gott selbst kennt das Dunkel, ja:

Sprecherin:

„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.

Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.“

Gott will im Dunkel wohnen. Und erhellt es doch. Das ist „unausdenkbar und unerwartet, wie wenn ein Richter, statt zu strafen, belohnt; nur Gott tut das.“[1]

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!“ Wenn das Dunkel uns nicht mehr halten kann - das wäre Advent.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

[1] Frieder Schulz, in: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 2, Göttingen 2001, 13

 

 

04.12.2020
Peter Oldenbruch