Die Schuldenfalle

Die Schuldenfalle
15.06.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Angelika Obert

 

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Unglücklich schaut Marie aus ihrem Küchenfenster: Da hat sich doch schon wieder Unkraut auf dem Rasen im Vorgarten breit gemacht! Der Rosenstock blüht auch nicht so prächtig, wie er sollte. Nein, den grünsten Daumen hat Marie nicht. Das werden die Nachbarn bestimmt auch schon gemerkt haben.

 

Marie selbst jedenfalls merkt genau, was die Nachbarn machen. Und sie findet es unverzeihlich, wie es bei denen mit den kleinen Kindern aussieht, die erst vor kurzem eingezogen sind. Die haben von Rasenmähen wohl noch nie was gehört. Bei denen bleibt der Roller vor der Tür einfach liegen und manchmal sogar ein Kinderschuh oder Bonbonpapier! Die Leute sind bei Marie unten durch.

 

Sie hat nun mal strenge Maßstäbe. Ordnung geht ihr über alles. Man könnte sogar sagen: Die Ordnung ist ihr höchstes Gut, ist der Gott, dem sie dient. Ein Gott, der ihr ständig ein schlechtes Gewissen macht von wegen Unkraut. Ein Gott, der klare Kriterien hat in punkto „akzeptabel“ und „verwerflich“, also auch: akzeptable und verwerfliche Nachbarn.

 

Ach, der Vorgarten – sagen da wohl Manche, der ist doch nicht so wichtig. Aber auch sie haben ihre höchsten Werte, die ihnen über alles gehen und denen sie unterwürfig dienen. Für die Einen ist es ihr Aussehen, für andere die Karriere oder der Sport oder die Kochkunst. Irgendetwas gibt es auch für sie, was ihre Urteile bestimmt – über sich selbst und andere. Etwas, was sie immer in Unruhe hält, weil sie sich selbst nicht gut genug finden und andere erst recht unmöglich.

 

Wie viel leichter und fröhlicher könnten alle diese Menschen leben, wenn sie nicht so verbissen an ihren eigenen Maßstäben hingen und lieber an den Gott glauben würden, der Himmel und Erde geschaffen hat, dazu auch die Menschen –  nach  unzählig verschiedenen Maßstäben. Den Gott, der langmütig und großzügig auch denen zugewandt bleibt, die hinter seinen Prinzipien weit zurückbleiben.

 

 

Jesus lädt zu solcher Leichtigkeit ein und er erzählt dazu ein Gleichnis, das gut anfängt, doch leider schlecht endet.

 

Es fängt an mit einem Mann, der vor seinen König zitiert wird, weil er jahrelang Steuern hinterzogen hat. Der Mann bittet um Gnade und ja, der König ist gnädig. Er erlässt ihm alle Schuld und lässt den Mann wieder laufen.

 

Guter Dinge kehrt der zurück in seinen Alltag, zu seinen Geldgeschäften, die ihm ja am Herzen liegen. Da fällt ihm gleich ein: Er hat ja noch einen Posten offen. Ein Kollege schuldet ihm Geld. Das will er jetzt eintreiben. Der Kollege kann nicht zahlen. Na, aber Recht muss doch Recht bleiben. Der Mann zeigt seinen Schuldner an.

 

Das kommt dem König zu Ohren und nun bestellt er den Mann noch einmal zu sich, diesmal ist er zornig: „Großzügig habe ich dir deine Schuld erlassen“, erklärt er, „hättest du da nicht auch großzügig mit deinem Kollegen sein können? Aber nein, du willst hart sein und unbarmherzig. Dann sollst du auch mit dem Maß gemessen werden, mit dem du selber misst. Dann musst du jetzt Qualen leiden, bis alle deine Schuld getilgt ist.“

 

Jetzt ist der Mann also doch verdammt und verurteilt. Nach menschlichem Ermessen hat er es auch nicht anders verdient. Wenn der König – also Gott – nach menschlichem Ermessen handelt, muss er den Unbarmherzigen mit Unbarmherzigkeit strafen, den Kleinlichen mit Kleinlichkeit, den Berechnenden mit Berechnung.

 

Aber eigentlich ist es ja gar nicht Gott, der diese Bestrafung verhängt. Es sind die Menschen selbst, die für sich entscheiden: Ich will verurteilen, ich will Schuld anlasten und Schuld eintreiben, ich will Minuspunkte verteilen. Sie sind es, die sich und andern Qual bereiten, weil sie sich ihrem unbarmherzigen Prinzip unterwerfen, ihrem Vorgartengott.

 

Wenn ihr keine Qual haben wollt, schließt Jesus, dann haltet euch an den barmherzigen Gott, der euch die Schuld erlässt. Dient ihm als großzügige Menschen, die gar nicht daran denken, immerzu Fehler anzukreiden und Schuld aufzurechnen.

27.12.2015
Pfarrerin Angelika Obert