Ein weises Herz

Morgenandacht
Ein weises Herz
01.06.2015 - 06:35
03.04.2015
Pastor Peter Oßenkop

„Damit wir klug werden“ – so lautet die Losung des Evangelischen Kirchentages, der in dieser Woche in Stuttgart stattfindet. Die Losung ist ein Satz aus einem Gebet der Bibel, aus Psalm 90: Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir klug werden, damit wir ein weises Herz gewinnen.

Ein weises Herz: Das klingt bedächtig, ein bisschen altmodisch und langweilig in einer temporeichen Zeit. Es klingt nach Altersweisheit und Ruhesitz im Alter.

 

Das Gegenmodell zur Weisheit ist die Jagd: die Jagd nach Glück. Es erscheint zwar ganz natürlich, sich viel Glück zu wünschen. Aber viele Menschen erwarten es selbstverständlich, glücklich zu sein; sie erheben Anspruch auf Glück. Das macht sie nicht nur zu Jägern, sondern auch zu Gejagten im Erreichen des Glücks. Die amerikanische Schriftstellerin Edith Wharton beschreibt die Glücksfalle, in die Menschen nur allzu häufig geraten. Sie sagt: „Wenn wir doch bloß damit aufhören würden, immer glücklich sein zu wollen, könnten wir hier auf Erden eine ziemlich gute Zeit verbringen.“

Also doch lieber Weisheit?

 

Was ist Weisheit? Die Menschen der Bibel meinen damit so etwas wie einen inneren Kompass, der das rechte Maß angibt: ein Kompass, der hilft, die Balance zu halten zwischen Alleinsein und Gemeinschaft, zwischen Sammeln und Loslassen, Arbeit und Ruhe, Ernst und Ausgelassenheit, Gewohnheit und Kreativität.

 

Das weise Herz, dieser innere Kompass, wird in der Bibel durch zwei Sätze erläutert: Der eine heißt: „Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn“ (Spr. 9,10; Psalm 111,10), die Ehrfurcht vor Gott. Das klingt nicht gerade angenehm: Der Satz bezeichnet Erschrecken und Staunen zugleich. Ehrfurcht vor Gott: Das meint, ich beherrsche mein Leben nicht; das Leben läuft nicht nach einem Masterplan ab, den ich mir ausdenken könnte. Die Kinder werden z.B. nicht so, wie es sich die Eltern vorgestellt haben; der Partner ist nicht der Glücksbringer, der sich nach den Träumen meiner Sehnsucht formen lässt. Das bringt Irritationen, zugleich komme ich jedoch ins Staunen, welche Lebensfreude von meinen Mitmenschen ausstrahlt, welche Anstöße und guten Ideen sie mir vermitteln.

Ehrfurcht vor Gott: Ich erschrecke auch über eigene Fehler, über mangelnde Wachheit, über die Vergeblichkeit mancher Aktivität; und dann staune ich wieder, wie ich unerwartet Kraft bekomme, welches Glück mir geschenkt ist, welch eine Gnade es ist, etwas Großartiges zu erleben. Ehrfurcht vor Gott, Ehrfurcht vor dem Leben: das führt mich dazu, dass ich dankbar bin für die Gaben, die mir mitgegeben sind, und aufmerksam für die Aufgaben, die mir gestellt sind; dass ich mich an das Leben hingebe und mit Mut und Neugier herangehe an die Herausforderungen und Überraschungen des Lebens.

 

Ein anderer Satz der Bibel lautet: „Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit“ (Sir. 1 14). Das klingt nun nicht so furchterregend, sondern es macht deutlich, wie schön es bei allem Erschrecken und Staunen über das Leben ist, mit Gott verbunden zu sein. Ich lebe nicht nur so in den Tag hinein mit Angst und Schrecken, mit Lust und Gier – je nachdem. Ich lebe nicht nur so dahin, ich werde auch nicht gelebt durch all das, was mich treibt, sondern ich weiß mich verbunden mit dem Leben, mit meinem Leben, das ich annehme, mit meinem Gott, der mir dieses Leben gibt und aufträgt.

 

Weisheit? Glück? Vielleicht ist das gar kein Gegensatz. Glücklich bin ich, wenn ich mich mit Menschen in einer guten Beziehung verbunden weiß; wenn ich mit mir selber verbunden bin und zu dem stehen kann, was ich bin und tue; wenn ich mich von Gott als dem Grund meines Lebens getragen weiß. Ich lebe nicht in einem luftleeren Raum, in dem ich herumgewirbelt werde und wo kein Halt ist, sondern ich weiß mich geborgen in der Liebe Gottes, die mich zur Liebe zu den Mitmenschen führt, zur Achtung vor der Schöpfung, zur Ehrfurcht vor dem Leben. Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit und das höchste Glück. Dann werden wir klug.

03.04.2015
Pastor Peter Oßenkop