Fake News in Jerusalem

Morgenandacht

Markus Winkler / Unsplash

Fake News in Jerusalem
31.08.2021 - 06:35
23.08.2021
Thomas Dörken-Kucharz
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Fake News gibt es im Duden als Begriff seit fünf Jahren. Fake News, das sind Falschmeldungen, die in manipulativer Absicht verbreitet werden. Vor allem in den Medien und im Internet, besonders in den Sozialen Medien. Nur der Nachsatz macht Fake News zu einem neuen Phänomen. Also die Geschwindigkeit, mit der sich Falschmeldungen verbreiten können, die ist neu. Nicht das Phänomen selbst: Fake News gab es auch schon zu biblischen Zeiten.

 

Wir schreiben das Jahr 593 vor Christus. Schwere Zeiten in Jerusalem. Denn man ist dem babylonischen König Nebukadnezar II. tributpflichtig. Schon einmal haben die Israeliten nicht gezahlt. Prompt wurde Jerusalem erobert, Tempelschatz und ein Teil der Oberschicht wurden nach Babylon verschleppt. Das ist vier Jahre her. Niemand zahlt gern Tribut, weil es schmerzt, ein Volk klein hält und fremde Herrscher groß macht.

 

Jeremia ist damals Prophet in Israel. Er ist von Gott beauftragt, dem König, den Priestern und dem Volk die Wahrheit zu sagen. Entsprechend hatte er die Katastrophe vier Jahre zuvor vorausgesagt. Dafür hätten ihn die Israeliten beinahe geköpft. Seine Worte passten keinem. Jetzt tritt er dafür ein, den Tribut zu zahlen. Das Joch des fremden Herrschers Nebukadnezar sollen die Israeliten ertragen, um Schlimmeres zu verhindern. Plötzlich tritt ein anderer Prophet auf. Hananja. Er verkündet im Namen Gottes, man soll sich Nebukadnezar nicht beugen, denn dieser würde demnächst sterben, die Oberschicht und der Tempelschatz würden zurückkommen und Jerusalem frei sein. Jeremia verschlägt es zunächst die Sprache. Später bezichtigt er Hananja der Falschaussage, doch es steht Meinung gegen Meinung, Aussage gegen Aussage. Beide berufen sich auf Gott, der ihnen das so aufgetragen habe.

 

Wer hat Recht? Wer sagt die Wahrheit? Der Streit eskaliert. Jeremia verschärft seine Rede und verkündet: Das Joch Nebukadnezars werde nun viel schwerer werden, wegen der Lügen Hananjas. Nebukadnezar würde Jerusalem noch mehr knechten. Außerdem - fügt Jeremia hinzu - wird Hananja binnen eines Jahres sterben, weil er falsch geweissagt habe.

 

Laut Bibel kam es auch so. Jeremia behielt - leider - Recht. 586 v.C. wird Jerusalem ein zweites Mal erobert. Und diesmal auch samt Tempel zerstört.

 

Doch zurück zum Streit zwischen Hananja und Jeremia. Aus Sicht der Israeliten war es nicht einfach zu entscheiden, wer Recht hatte, Jeremia oder Hananja. Beide traten vollmächtig im Namen Gottes auf und beanspruchten absolute Wahrheit. Im Nachhinein ist es klar, aber im Moment war nicht einfach zu unterscheiden zwischen Falschprophetie - oder Fake News - und Wahrheit. Sogar Jeremia selbst war zunächst verunsichert, als Hananja so vollmundig auftrat.

In der Nähe der Macht, und im Kampf um die Macht wurde schon immer mit Gerüchten, gezielten Indiskretionen und falschen Behauptungen Politik gemacht. Und Fake News machen auch vor der Religion nicht Halt.

 

Niemand hat die ganze Wahrheit objektiv. Wahrheit gibt es immer nur im Ausschnitt, in einer bestimmten Perspektive. Deshalb ist der Streit um den richtigen Weg, das Ringen um die verschiedenen Perspektiven auch ganz wichtig. Dafür gibt es heute einen Vorteil gegenüber der biblischen Zeit. In aller Regel sind Fake News heute keine Prophezeiungen, sondern verdrehte und gefälschte Darstellungen von Fakten und Ereignissen. Prophezeiungen kann man erst überprüfen, wenn sie eingetroffen sind - oder eben nicht.

 

Falschmeldungen lassen sich bloßstellen, mit einem Faktencheck, mit einer Recherche des Kontexts und der Absicht, die hinter einer Meldung steht. Und mit einem kühlen Kopf, der sich auch den unbequemen Meinungen stellt. News und Fake News sind heute einfacher zu unterscheiden, sie sind prinzipiell überprüfbar und das ist jeder Mühe wert. Erst recht, wenn es bei dem Streit um die Zukunft und das Wohl aller geht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

23.08.2021
Thomas Dörken-Kucharz