Feindbildchen dürfen ausdienen

Morgenandacht
Feindbildchen dürfen ausdienen
14.01.2016 - 06:35
27.12.2015
Ulrike Greim

„Bitte, lieber Gott, schicke mir ein klitze-, klitze-, klitzekleines Feindbildchen,“ kritzelt der NVA-General auf ein Blatt Papier. So zeigt es eine Karikatur aus der Nach-Wende-Zeit. Die Nationale Volksarmee wurde abgewickelt. Sie hatte sich erledigt. Der Feind war irgendwie gar nicht der Feind.

Was aber haben die NVA-Generäle tatsächlich gedacht, oder womöglich gar gebetet? Nein, dass sie gebetet haben, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Aber dass sie Probleme mit ihrem Weltbild hatten, schon. Das hatten viele. Da bastelt man ein Berufsleben lang an einem Feindbild und dann bricht das binnen weniger Wochen zusammen. Manchen half nur die Psychiatrie.

Feindbilder erhalten ja so schön am Leben. Man weiß, wofür man da ist. Genauer gesagt: wogegen.

Auch viele DDR-Oppositionelle hatten Probleme mit ihren Feindbildern. Denn auch die mussten irgendwann aufgelöst werden. Manchen gelingt es bis heute nicht.

Dabei ist es ein Segen, wenn man merkt, dass ein Feindbild sich in Luft auflösen darf. Es irritiert sicher, aber dann erleichtert es.

„Man hatte uns gelehrt, ihr seid Hunde.“ So sagte es ein Moslem, als er in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft angekommen war. Sie wird von der Berliner Stadtmission betrieben. Also von Christen. „Und nun nehmt ihr uns auf.“ Da wird ein falsches Bild wieder auf die Füße gestellt. Denn natürlich sind Christen keine Hunde. Und Feinde sind relativ.

Es scheint eine Knochenarbeit zu sein, ein Feindbild abzulegen. Es einmal anders zu sehen. Vielleicht muss man so etwas üben: „Mal angenommen, XY wäre nicht mein Feind.“

Es gehört viel Naivität dazu, so zu denken. Und es ist überlebenswichtig, genau diese Übung immer wieder einmal zu machen. Das Schwarzweiß zu hinterfragen. Und zu sehen, ob nicht Grauwerte zum Vorscheinen kommen.

Feindbilder wechseln innerhalb eines Jahres: Der Russe auf der Krim. Der Grieche im Euroraum. Der Muslim im Flüchtlings-Treck. Der Singular verdeckt, dass hier gerade nicht der Mensch in den Blick genommen wird, sondern ein Klischee, ein potentielles Feindbild.

Kann man sich davor hüten? Ja. Durch Bildung. Und Übung.

Soweit wie Jesus würde ich nicht gehen. Zu sagen, man solle seine Feinde lieben. Das übersteigt meinen Verstand. Dazu ist mein Hirn zu klein, mein Herz. Diesen Reifegrad meines Lebens würde ich gerne erreichen. Aber da sehe ich schwarz.

Aber ich kann mich in den Vorstufen üben: den Feind anschauen. Das ist auch schon etwas. Aus mehreren Quellen recherchieren. Und dann sehen: Vielleicht ist er nicht feindlich. Vielleicht ist er es aber doch. Aber dann muss ich es nicht auch sein. Ich bleibe unabhängig. Auch von der Gegnerschaft anderer.

Das Weiß im Auge des Gegners zu sehen, hilft bekanntlich schon. Es relativiert die Frontlinien. Es ist entlastend, die Front verlassen zu dürfen.

Genau heute vor 60 Jahren kamen die letzten deutschen Kriegsgefangenen von der Front. Entlassen aus der UdSSR. Sie trafen am 14.1.1956 in Herleshausen ein. „Der Russe“ hatte sie gehen lassen. Hatte einer von ihnen noch Lust auf Krieg? Sie hatten Hunger. Nach Brot, nach Liebe. Nach Ruhe.

Sie hatten viele Russen kennengelernt. Bestialische und menschliche, musikalische und unmusikalische, religiöse und atheistische. Welches Bild mag ihnen geblieben sein? Wohl kaum ein eindimensionales. Denn dafür waren sie zu nah dran. Das Freund-Feind-Schema hat Millionen das Leben gekostet.

Wenn ich dem karikierten NVA-General ein Gebet schenken dürfte, wäre es dies:

„Lieber Gott, schenke mir bitte einen Radiergummi für meine so eifrig gemalten Feindbildchen. Und für heute: Brot, Liebe und Ruhe.“

27.12.2015
Ulrike Greim