Feindesliebe

Morgenandacht
Feindesliebe
13.06.2020 - 06:35
07.05.2020
Susanne Richter
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Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. Wenn ich wissen will, wie die Welt zusammenhängt, halte ich nach Liebe Ausschau. Die vermutlich schwierigste Spielart der Liebe ist Feindesliebe.

Christen denken dabei schnell an die Bergpredigt. Und halten Feindesliebe für speziell christlich. Aber grundsätzlich ist Feindesliebe auch in anderen Religionen zu finden. Im Buddhismus heißt es zum Beispiel: „Denn Feindschaft kommt durch Feindschaft zustande; durch Freundschaft kommt sie zur Ruhe; dies ist ein ewiges Gesetz.“ Das Judentum drückt es so aus: „Hungert Deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser.“

 

Das Christentum hat die Feindesliebe zugespitzt und radikalisiert. „Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen.” So sagt es Jesus in der Bergpredigt.

Ich weiß noch, dass ich im Konfirmandenunterricht gedacht habe: jetzt kommen wir zu den Geboten, die man sowieso nicht erfüllen kann und die nur für Jesus gelten. Später im Religionsunterricht wurde uns erzählt: Das ist was für Märtyrer oder Heilige, für Widerstandskämpfer, die ihr Leben für ihren Glauben geben. Gandhi, Martin Luther King, Bonhoeffer.

 

Mir war klar: Das ist nichts für eine wie mich. Denn ich, ich finde es ja schon schwer, durchschnittlich nette Menschen immer lieb zu haben. Aber Feinde lieben? Das ist nur etwas für Erleuchtete. In irgendeiner Form auf jeden Fall Fortgeschrittene. Wozu ich mich nicht zähle. Ich habe also immer gut lutherisch gesagt: „Die Feindesliebe ist dazu da, dass wir unsere eigene Unfähigkeit erkennen und Gottes Gnade brauchen.“

Und dabei spreche ich nicht einmal über die wirklich großen Momente. Ich muss nicht in einem Folterkeller um mein Leben bangen. Bei den meisten von uns geht es zum Glück nicht um Leben und Tod. Im Alltag geht es doch eher um die kleineren Konflikte: Konkurrenten, Mobbing im Job vielleicht. Nebenbuhler, Rosenkrieg in Beziehungen. Fies und kränkend vielleicht schon. Aber meistens lassen meine Alltagsfeinde mich doch am Leben.

 

Und so verrückt wie das klingt: Auf eine Art und Weise können sie mir sogar lieb und teuer sein. Wie schön und einfach, wenn ich all das, was ich nicht sein will, einfach nach draußen verlagern kann. So eine kleine Feindschaft ist gut dafür geeignet. Und manchmal muss eben mein Ehemann dafür herhalten. Feinde und Antitypen außerhalb sind tolle Blitzableiter für Aggressionen. Warum sie also lieben? Moralische Impulse überzeugen mich da nicht so sehr. Eher die Erkenntnis, wieviel Feindschaften mit Selbstablehnung zu tun haben. Bei Heinz Rudolf Kunze hört sich das so an:

 

 

Musik: Heinz Rudolf Kunze, Wozu Feinde

„Man sagt nicht was man tut
man tut nicht was man sagt
man meidet was man liebt
man fürchtet was man wagt

Man bricht was man verspricht
behält was man verrät
man nimmt es wie es kommt
gewöhnlich kommts zu spät

Wozu Feinde
wenn man sich selber hat
wozu Feinde
man hat sich selber satt“

 

Feindschaft gegen sich selbst. Das, was ich hasse, hat wirklich jede Menge mit mir selbst zu tun. So kann ich auch die Bergpredigt mit ihrem hohen Anspruch neu hören.

Psychologen sagen: Feinde sind Wegweiser für Schattenarbeit. Mit Schatten sind verdrängte Persönlichkeitsanteile gemeint. Einer hat mir vorgeschlagen, statt Feinde den Begriff „Arsch-Engel“ zu benutzen. Personen, die mir im alltäglichen Kontakt die meisten unangenehmen Gefühlen bereiten, nennt er Boten. Sie führen mir schmerzlich vor Augen, was ich besser verarbeiten könnte.

Ich finde: Das ist mehr als Psychologie. Wo Feindesliebe geschieht - innerlich und äußerlich, da ist es mehr als eigene Leistung. Sondern ein Geschenk, Gnade. Da sind Liebe und Gott am Werk.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.05.2020
Susanne Richter