Gott macht Träume

Morgenandacht
Gott macht Träume
26.05.2021 - 06:35
19.05.2021
Evamaria Bohle
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Wer fragt schon nach den Träumen der Alten? Nicht nach ihren Alpträumen, nach ihren Träu-men! Nach dieser Kraft, die ohne Kondition und Willensstärke auskommt. Die Grenzen sprengt und der Gebrechlichkeit trotzt. 
Wer fragt schon nach den Träumen der Alten? Nicht nach ihren Erinnerungen an gestern, son-dern nach den Bildern, die heute in ihnen aufsteigen bei Tag und bei Nacht. Bilder, die Augen zum Glänzen bringen und Mundwinkel heben. Träume, in denen der Körper keine Schmerzen kennt, in denen das Wünschen hilft, in denen Hände und Hoffnung viel miteinander anfangen können. Denn was täte die Hoffnung ohne die Hände?

„Eure Alten werden Träume träumen, und eure jungen Leute Visionen haben.“ So steht es bei Joel, im 3. Kapitel. Joel ist ein „kleiner Prophet“ im „Alten Testament.“ Joel schreibt jeden-falls über die träumenden Alten und die Jugend von heute.  Also Omas, Opas, Enkelkinder. 
Joel grüßt aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Die Zeiten sind schlecht – Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen, Heuschrecken, Dürren, Hunger - und kein Ende in Sicht. Es ist nicht leicht, ein Mensch zu sein. So ganz ohne Sozialstaat, Netflix und Supermarkt in Sichtweite. Es ist nicht leicht, die Schuldigen zu finden. Die da oben? Die da unten? Gott selbst?
„Gestorben wird immer“, seufzen die einen. „Krieg den Palästen!“, murren die anderen. In manchen Kreisen wird sehr ernsthaft über einen tiefgreifenden Wandel nachgedacht, und die Frauen – in der Regel sind es ja die Frauen – versuchen derweil noch die Kinder bei Laune zu halten und wenigstens einmal am Tag eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Was täte die Hoffnung ohne ihre Hände?

„Eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen“, dichtet Joel. Und fährt fort: „Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen.“ Ich ist Adonai, also Gott. Weissagen, träumen, Gesichte sehen, Geist ausgießen. Über Männer u n d Frauen. Ziemlich ungewöhnlich im alten Orient. 
„Geistausgießung“. Daran hat die Christenheit am vergangenen Wochenende gedacht. Frohe Pfingsten nachträglich. Manche feiern den Geburtstag der Kirche, die meisten haben ein lan-ges Wochenende, und der Geist weht derweil, wo er will.  Ist das schon Inspiration? Und wenn ja: Inspiration - wozu?

Wenn Joel Recht haben sollte, bringt dieser Geist Menschen zusammen, die oft nicht gehört werden. Die Alten, die Jungen, die abhängig Beschäftigten. Männlein und Weiblein. Er schenkt ihnen ein begeistertes Wir. Warum macht er das nur, der Geist?
Warum bringst du nicht die leistungsstarken Mitdreißiger nach vorne, sondern die träumenden Alten? Vielleicht, weil die schon wissen, dass die Gegenwart nie das letzte Wort hat, dass die Zeiten sich ändern? Dürre, Hunger, Pandemie – geht alles vorüber, und Macht wird immer nur verliehen.  Wovon also träumen die Alten? Davon, dass alles wieder auf Anfang geht, vielleicht.
Du fasst auch die Jugendlichen an, Geist Gottes. Töchter der Zukunft, Söhne, die das Morgen kaum erwarten können. Die alles anders machen möchten, glauben, dass sie es können und nicht nur freitags auf die Straße gehen. Und du, Gott, setzt auf die Fachleute am unteren Ende der Befehlsketten – Knechte, Mägde, Leiharbeiter. Denen schenkst du deinen Geist. Viel-leicht weil sie als erste merken, wenn die Gegenwart kein Spaß mehr ist, wenn das Leben zu hart wird und sogar das Träumen wehtut. 

Dein Geist, Gott, weht, wo er will – und du weißt genau, was du willst: Träumende Alte, Ju-gendliche mit Visionen, den Spirit der Machtlosen, und dass dein Friede, der höher ist als alle Vernunft, alle Herzen und Sinne bewahrt.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

19.05.2021
Evamaria Bohle