Hammondorgel

Morgenandacht
Hammondorgel
25.06.2018 - 06:35
01.03.2018
Evamaria Bohle
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Eine Kirche. Möglichst alt, möglichst groß, möglichst im Herzen der Stadt. Ein Dom oder ein Münster. So ein Gigant von Steinbau, der daliegt und Jahrhunderte ausstrahlt. Man drückt die hohe schwere Tür auf, sie gibt nach, gewährt Einlass und fällt mit einem satten Geräusch ins Schloss. Der Alltag bleibt draußen.

Man steht im Dämmerdunkel des stillen Raumes. Die Jahrhunderte heißen einen willkommen. Man fühlt sich fremd oder seltsam zu Hause. Das hat mit den Erinnerungen zu tun, die so ein Raum in einem weckt. Vielleicht läuft das kleine Mädchen, das man einmal war, den Erinnerungen hinterher. Dorthin, wo die Kerzen stehen. Es tut gut, eine Kerze anzuzünden in einem alten Gebäude, das so still ist und in dem es seltsam riecht: nach Weihrauch, nach Gebet, nach verklungenen Liedern, nach Gottessehnsucht, nach Andacht und nach dem Sonnenlicht, das durch buntbemalte Kirchenfenster tanzt. Blau, rot, grün. Man tut sich leichter mit der Kirche, wenn man Erinnerungen hat, in denen sich Gefühle von Geborgenheit mit Sprache und Gesten der Religion verbinden.

 

Die habe ich. Und doch klingt von irgendwo her eine Hammondorgel in meinem Ohr. Ein Lied kommt mir in den Sinn: „Ja, wir stecken voller Fehler/Aber wir sind stolz darauf / Bei uns können alle Widersprüche gedacht und gefühlt / Und bis ins hohe Alter ausgekostet werden. / Die Dialektik hängt bei uns in allen Gehirnen.“

Schön wär’s. Hanns Dieter Hüsch, Kabarettist und Prediger, „evangelisch und zugleich Deserteur“ wusste, dass alle Regeln, alle Dogmen und Dogmatiken menschengemacht sind. Unvollkommene Versuche, der Liebe Gottes einen sichtbaren Ort zu geben. Immer von Entstellung bedroht, wenn sich die Macht einschleicht. Christus ging den Weg der Ohnmacht. Aber das liegt den Wenigsten in und außerhalb der Kirchen.

Hüsch liebte das Bizarre, das Seltsame, das Zerbrechliche und Sehnsüchtige in den Menschen. Sei es von Kanzeln oder Bühnen: Er wurde nicht müde über uns Menschen und unseren kleinkariert-komischen Alltag zu sprechen, und über das, was vielleicht der Stoff sein könnte, aus dem Hoffnung gemacht werden kann: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Denn es geht doch immer um den Frieden. Darum, dass Männer, Frauen und Kinder mit Blick auf Gott und Jesus Christus wissen können, dass ihr Leben und Vergehen nicht trostlos zu sein braucht. Hüsch singt: „Und dann wird noch mal ein Fest gefeiert / Spaßig, traurig und schön / Einer singt: You are the sunshine of my life / Ein anderer singt: Die Internationale / Und ein dritter: Gloria in excelsis deo / Et in terra pax hominibus“. Die Hammondorgel verklingt.

 

Ich sitze in der Kirchenbank. Jetzt spüre ich die Zeit, die Geschichte anders. Die Traditionsgewölbe werfen fremde Schatten. Jahrhunderte ungelüfteten Raumes legen sich mir auf die Atemwege. Versteinert scheint plötzlich alles Denken und Fühlen zwischen diesen fremden Mauern. Der Raum wird eng. Auch die eigene Toleranz hat Grenzen. Doch an diesen Grenzen spürt man, wer man ist. Jede Grenzüberwindung birgt den Verlust der Identität, dann beginnt das Unbekannte. Das weckt Angst, doch genau da wohnt auch die Verheißung. Ich stehe auf.

 

Eine Glocke klingt an, das Geläut vom Domturm schwingt sich über die Stadt. Gut, dass die Kirche nicht mehr über die Macht verfügt, einen zu ihrer Wahrheit zu zwingen. Ich habe die Freiheit zu kommen und zu gehen. Bevor ich gehe, zünde ich eine Kerze an. Oder besser drei: Eine für die Ohnmacht, meine eigene und die der Kirche, eine für den Frieden, um den es immer geht, und eine für Hanns Dieter Hüsch. Dann lasse ich die Kirchentür hinter mir ins Schloss fallen. Draußen scheint die Sonne.

01.03.2018
Evamaria Bohle