Hoffnung im Rücken

Morgenandacht
Hoffnung im Rücken
20.03.2017 - 06:35
18.03.2017
Evamaria Bohle

Draußen vor einer Tür sitzen. Auf der obersten Stufe. Das Gesicht in der Sonne. Im Rücken eine Mauer. Eine Kirchenmauer. Einige hundert Jahre alt. Die Mauersteine in einem Steinbruch gehauen, von schwitzenden, stinkenden Männern. Ihr Lachen, ihr Stöhnen, ihr Schmerz, ihre Hoffnung auf ein Bier am Abend. Und auf den Himmel. Ihre Angst: vor der Frau, den Kindern und der Hölle. Sie alle sind tot. Lange schon Staub. Aber diese Kirche steht noch, an der sie gebaut haben. Wieviel Handarbeit steckt allein in dieser Wand. Zerschnittene Finger, verhornte Hände. Muskelkraft, auch Geschicklichkeit und Klugheit. Es ist überhaupt nicht leicht, eine Mauer zu bauen. Ein Haus, eine Kirche, eine Moschee – einen Tempel. Da braucht es Köpfchen. Geld. Material. Motivation. Macht. – Und natürlich Menschen: Architekten, Maurer, ein Heer von Handwerkern. All diese Arbeiter, die essen müssen, schlafen, bei Laune bleiben. Deswegen braucht es Köche – oder Köchinnen, Menschen, die Betten machen und aufräumen, die den Computer reparieren, Apps entwickeln, neue Filme drehen und Bücher schreiben. Alle müssen bei Laune bleiben. Auch die Kinder. Wer sieht nach denen, wenn die Erwachsenen eine Mauer bauen, einen Turm, eine Kirche? Es kann sehr lange dauern, eine Mauer zu bauen.

 

Ich sitze also draußen, auf der obersten Stufe, das Gesicht in der Sonne, im Rücken eine Mauer. Viel mehr als eine Mauer. Ein ganzes Gebäude mit Turm und Portal, mit großen Fenstern, farbiges Glas. Eine Kirche eben – Dom, Münster oder Dorfkirchlein. Egal. Ich sitze vor einer Kirche. Manchmal geht das, manchmal kann man sich an Kirchen sogar anlehnen. Ich tue das, ab und an, und fühle mich wohl, da draußen. Gelehnt an das alte Gemäuer, das Gesicht in der Sonne von heute und im Rücken ein Raum voller Gebete, Geschichten und Geschichte. Was wissen wir schon? Dass in meiner Stadt und in Ihrer Stadt auch Kirchen stehen, hat Vorgeschichten, die vor Jahrtausenden in Wüstenwind und Aramäisch begonnen haben. „Er ist auferstanden“, schrieben damals einige über einen Gekreuzigten – und eine neue Zeitrechnung begann: ein Davor und Danach. Seit 2000 Jahren stemmen sich die kühnen Worte gegen den allgegenwärtigen Tod. „Er ist auferstanden.“ Darüber kann man sich wundern oder ärgern oder es lassen. Oder einreißen, was einem im Weg steht: Mauern, Kirchen, Worte von Gott. Wegsprengen. Hat es auch schon gegeben. Man kann auch ignorieren, was hinter diesen Mauern vor sich geht.

 

Manchmal verlasse ich meinen Platz draußen und gehe durch das Portal in die Kirche hinein. Als Touristin, als Gottesdienstbesucherin, als Suchende. Stille tröstet: dieser Raum ohne einen alltäglichen Zweck. Durchbetet, durchsungen, durchklungen von Geschichten, in denen Alltag und Wunder Hand in Hand gehen dürfen. Es kann so gut tun, aus der Zeit zu fallen – ab und an. Wer in die Kirche geht, verlässt den Mainstream. Sitzt auf einer unbequemen Bank, kniet vielleicht sogar – sieht ja keiner. Ich zünde eine Kerze an für jemanden, den ich liebe, und hülle uns ein in die Hoffnung derer, die vor uns waren.

 

Was fehlt uns, wenn die Kirchen fehlten? Mir fehlte die Mauer, an die ich mich lehnen kann, die Tür, hinter der es ein Wissen gegen Tod und Angst gibt. Das würde mir fehlen. Sehr. Ich halte mein Gesicht in die Sonne, und ich brauche die Kirche, um mich wenigstens anzulehnen an eine größere Hoffnung.

18.03.2017
Evamaria Bohle