Ich bin eine Birke

Morgenandacht
Ich bin eine Birke
28.06.2018 - 06:35
01.03.2018
Evamaria Bohle
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Die Segnungen des Smartphones: „Heute Morgen wäre ich gerne eine Birke“, texte ich. Die Freundin schreibt postwendend zurück: „Mach doch!“ Und unter ihrer Antwort blinkt dieser Smiley mit den Herzen auf den Augen. Dann brummt es noch einmal, und sie ergänzt: „Mit Wurzeln, fest in der Erde.“ Kontakt über hunderte Kilometer hinweg, wie einmal über den Hof gerufen. Ich lächle zurück, sie fährt zur Arbeit, und ich werde eine Birke: Mit Wind in den Zweigen. Mit raschelnden Blättern im wechselnden Licht. Grün in Grün schimmernd, durchscheinend silbrig, mein Stamm.

 

Ich bin eine Birke, die wächst, wo sie kann. Pionierpflanze. Anspruchslos. Zwängt sich aus Trümmerbergen, begleitet Bahngleise und verlassene Baustellen, siedelt in Mauerritzen, bewohnt Regenrinnen. Kann aber auch Wäldchen und Wald. Sogar Allee, wenn es sein muss. Oder Vorgarten. Braucht nicht viel. Ein wenig Erde, etwas Wasser, Licht – und das Leben kann neu beginnen.

Ich bin eine Birke, und „Gott sah, dass ich gut war“. Am dritten Tag der Schöpfung, den die weisen biblischen Dichter der Trennung von Wasser und Land widmeten. Und uns Pflanzen. Dem Grün, das der Mensch so braucht. Von Wüsten aller Art geplagt, lieben wir es, wenn das Grüne wieder grünt. Es kühlt die Augen, sättigt das Herz, lässt aufatmen. Grün ist die Heilung. Die Hoffnung trägt Grün.

 

Und Gott schuf das Kraut und die Bäume, die Wildpflanzen und die Nutzpflanzen und mich, die Birke am dritten Tag. Zuhause im Unwirtlichen, in Steppe und Sumpf. Mit silbrigem Stamm. Sommergrün. Winterzart. Und ich wünsche mir Nüsse mit winzigen Flügeln, eine Rinde, die im Dunklen leuchtet, und für den Herbst goldene Blätter. Und so geschah es. Gott schuf die Birke. Aus Abend und Morgen wurde der dritte Tag.

 

Ich bin eine Birke. Und in der noch mondlosen Nacht meines ersten Tages erwacht früh eine Sehnsucht nach Gesang in den Zweigen, nach Geflatter und einem Nest voller Flaumfedern und piepsender Lebendigkeit. Ja, Vögel wären schön! Blaumeisen und ein Gartenrotschwänzchen, ein paar Spatzen, vielleicht eine Drossel, ein Rotkehlchen. Und natürlich Schwalben, hoch oben unter dem Himmel. „Hörst du mich, Gott?“, flehe ich. Es soll ein Fliegen und Singen um mich sein. Und so geschah es.

 

Heute bin ich. Eine Birke? Meine Sehnsucht bleibt stumm. Meine Sehnsucht hat keine Worte, sie hat Wurzeln und Zweige. Drum brauche ich den Wind und die Vögel. Ich erstarre ohne den Wind und das Zwitschern. Gott lächelt und singt mir ins Haar. Es bebt das zarte Gezweig. Gott dreht meine Welt zuverlässig ins Licht. Hinaus aus der Dunkelheit: ein neuer Tag.

 

Heute bin ich eines von Gottes stummen Geschöpfen, gesegnet, zwischen Himmel und Erde gepflanzt. Verkrüppelt und krumm, aufrecht und schlank. Großstadtgewächs und Dorfschönheit. Baum des Beginns am Ende jeder Eiszeit. Frühlingsbotin. Himmelsleiter den Schamanen. Der Freya gewidmet von anderen Frommen. Ich bin eine Birke. Ich werde den Menschen Wiege und Boot, Maibaum, Medizin und Lederersatz. Geliebt, gebraucht, gelitten.

 

Ich bin ein Geschöpf Gottes, seit Jahrmillionen. Ein Baum unter Bäumen. Als noch niemand mich Birke nannte, warst Du, Gott, schon da, um meine Blätter zu zählen. Als das Kind in der Krippe lag, war ich schon Dein Wald in kärgeren Gefilden. Als Friedhofsbaum beuge ich mich immer noch über Gräber, Du aber bist auferstanden.

 

Heute bin ich also Birke. Heute geht kein Wort mir über die Lippen, kein Gedanke stört meine Stille, und kein Lächeln bittet um Freundlichkeit. Ich komme keinen Schritt vorwärts und werde nichts leisten. Und sollte ich wachsen, wird niemand es bemerken. Heute stehe ich still wie ein Baum, halte mich aufrecht zwischen Erde und Himmel und lasse mich ins Licht drehen. Mehr nicht. Das wird reichen für heute. Ich bin Deine Birke, Gott, Du atmest in mir.

01.03.2018
Evamaria Bohle