Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

Morgenandacht

unsplash.com/Sydney Sims

Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
Die beharrliche Witwe (Lukas 18)
25.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Silke Niemeyer
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Heute ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Er soll zur allgemeinen Stärkung von Frauenrechten dienen. Das ist kein Jammertag, sondern ein Tag zum Ärmel aufkrempeln für Frauen. Frauenrechte stärken, das können nur sie selber tun – ok, vielleicht nicht nur, aber sie vor allem. Deshalb jetzt die Geschichte von einer, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt: das Gleichnis von der beharrlichen Witwe. Ich finde, einer der unwiderstehlichsten Texte aus dem Neuen Testament (Lukas 18, 1-5):

 

Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt kommt und mir ins Gesicht schlägt.

 

Tja, so ist das: „Er wollte lange nicht!“. Sonst gäbe es ja den Aktions- und Gedenktag heute gar nicht. „Er wollte lange nicht!“. Dieser kurze Satz erzählt von einer halben Ewigkeit, in der es hin und her geht:

 

Schaffe mir Recht!

Was will die denn?!

Schaffe mir Recht!

Geduld, Geduld!

Schaffe mir Recht!  

Wo kämen wir hin, wenn alle auf ihrem Recht bestünden?

Schaffe mir Recht!

Ich bin überhaupt nicht zuständig.

Schaffe mir Recht!

Beweise erst mal deinen Anspruch.

Schaffe mir Recht!

Dein Antrag ist nicht korrekt gestellt!

Schaffe mir Recht!

So schlecht kann es dir gar nicht gehen, wenn du Zeit hast, dauernd zu mir zu kommen.

Schaffe mir Recht!

Andere sind schlimmer dran, und die beschweren sich nicht.

Schaffe mir Recht!

Das Recht ist nur für die wirklich Bedürftigen da.

 

Wie würde das heute weitergehen? Vielleicht so: In der Öffentlichkeit klagt der Richter über die Aggressivität der Witwe und betont, seine eigene Großmutter sei immer zufrieden gewesen mit dem, was sie hatte. Unter den Witwen mache sich eine unangenehme Anspruchsmentalität breit. Das überfordere die Gesellschaft im Moment.

Die Witwe kommt ins Fernsehen mit ihrem „Schaffe mir Recht! Ich will mein Recht!“. Aber das macht sie nicht gerade sympathisch. Das sagen nachher viele Witwen selbst, dass man so unverschämt nun wirklich nicht auftreten sollte. Die Empörung über die Witwen landauf, landab wächst. „Vorsicht, schwarze Witwe!“ titelt die BILD-Zeitung.

 

Wie auch immer – das steht ziemlich fest: „Und er wollte lange nicht.“

So lange, dass viele Witwen aufgegeben hätten, ihr Recht zu verlangen. Nicht aber diese. Sie will Recht und keine Gnade, und ist darum gnadenlos beharrlich. So beharrlich, dass der genervte Richter diese penetrante Person am liebsten ohrfeigen würde. „Ich will ihr doch Recht schaffen, weil sie mir so viel Mühe macht, sonst wird sie am Ende kommen und mir ins Gesicht schlagen“, phantasiert er. Denn neulich, da ist diesem Richter fast die Hand ausgerutscht, ja nichts lieber würde er mittlerweile tun: dieser aufdringlichen Frau eine Ohrfeige geben.

 

Diese Geschichte im Lukasevangelium ist eine meiner Lieblingsgeschichten von Jesus. Er stellt sie als Beispiel für unverdrossene Beharrlichkeit vor, ohne die man nicht ans Ziel kommt. Solche Vorbilder brauchen wir an Tagen wie diesem. Eine würdige Nachfolgerin dieser biblischen Frauenrechtlerin ist, finde ich, Rita Süssmuth. Ihr Lebensmotto hat sie aus der Bibel und von Samuel Beckett: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Rita Süssmuth sagt: Ich bin „nicht der Typ nach dem Motto ‚Ich kam, ich sah, ich siegte’, sondern das musste hart erarbeitet werden. Und ich muss sagen, ich habe im Scheitern viel gelernt. Deswegen ist auch meine Botschaft an junge Menschen, überhaupt an Menschen: Denkt nicht, wenn ihr scheitert, das ist Versagen für immer, sondern im Scheitern wächst auch ein Neuanfang! In dem Augenblick, wo Sie nicht ans Ziel gekommen sind, gilt es zu fragen, wie komme ich denn morgen ans Ziel, mit welchen neuen Mitteln?“ (1)

 

Gute Frage für den Gedenktag heute!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

  1. https://www.deutschlandfunk.de/ich-wurde-zur-kaempferischen-anwaeltin-der-frauen-auch-in.1295.de.html?dram:article_id=239483
18.07.2019
Silke Niemeyer