Kreuz

Morgenandacht
Kreuz
20.04.2019 - 06:35
14.02.2019
Autor des Textes: Klaus Priesmeier
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Neulich sah ich Jesus mit einem neuen Kopf. Links und rechts waren da die gewohnten Arme des Gekreuzigten auf dem Altarbild, lang nach oben gestreckt – doch dazwischen hatte er einen anderen Kopf. Es war der Kopf einer Chorsängerin. Sie stand genau – jedenfalls in meiner Perspektive – genau zwischen den Jesus-Armen am Kreuz.

 

Erst war ich nur verdutzt. Dann begann ich, über allerlei wechselnde Köpfe nachzudenken. Mir kam auch diese Reiseerfahrung in den Sinn: An Orten mit wichtigen historischen Persönlichkeiten trifft man immer wieder auf gemalte Szenen an einer Holzwand – darauf auch diese wichtige Person, nur wo ihr Gesicht wäre, da ist nur ein Loch. Ich kann von hinten herantreten – zum Beispiel in Wittenberg hinter den Martin Luther, ich halte mein Gesicht da rein und meine Frau macht ein Foto: Zu Hause präsentiere ich dann Luther mit meinem Gesicht. Ist doch was!

 

Die Grabeskirche in Jerusalem kommt mir in den Sinn – da könnte man doch auch so eine Szene malen, auf Holz, Jesus am Kreuz, aber ohne Gesicht, auch noch ein Loch an der Stelle – und die Leute könnten von hinten heran treten und sich fotografieren lassen: der Gekreuzigte mit meinem Gesicht. Würde ich das dann zuhause auch vorführen? Würde ich überhaupt hinter das Gestell treten und mein Gesicht da hinhalten? Oder würde ich zögern, mich von vorn herein empören über dieses unmögliche Angebot? Wie kann man nur, geschmacklos.

 

Ein wenig erschrecke ich in vorauseilendem Kulturgehorsam vor meinen eigenen Ideen. Aber denke ich weiter darüber nach, muss ich sagen: Ist nicht genau das der Punkt? Der Punkt, um den es geht, und den der Apostel Paulus in keiner Weise zufällig als Skandal benennt? Er, Jesus, hängt da mit meinem Gesicht.

 

Ein Mann sagte mir mal: „Also wegen mir wäre das sicher nicht nötig gewesen. Wegen mir muss keiner ans Kreuz gehauen werden, ist doch auch bestialisch. Das lehne ich ab. Nein, das will ich nicht. Wegen mir bitte nicht.“ Ein Gedanke, eine Reaktion, die den Kreuzesskandal nach Paulus vielleicht noch deutlicher spürt als wir in unseren kirchlichen Gefühlslagen. In denen haben wir uns an das Kreuz längst gewöhnt und das Entsetzliche spüren wir nicht mehr. Mein Gesicht in der Gestalt des Gekreuzigten – welche Pastorin, welcher Pastor sagt das noch bei der Taufe: Wir sind in Christi Tod getauft!?

 

In der Taufe treten Menschen hinein in den Karfreitag und Karsamstag, in das Todesurteil, das wir Menschen über den wahren Gott sprachen und sprechen und das Jesus erleidet. Da gehen wir hindurch durch den größten Schmerz, den Schmerz der Gottlosigkeit, des Verlorenseins, das keinen Halt mehr findet – mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und zugleich bricht darin die Zusage auf: Der „ich bin da“ ist da, auch hier, gerade hier. Und das ist der, der aus diesem Ort des Todes neues Leben werden lässt. Nicht daran vorbei. Sondern immer nur mitten da hindurch.

 

Das scheuen wir Menschen, weil wir nicht zugeben mögen, keinen tragenden Grund und keine dem Tod standhaltende Substanz in uns selbst zu haben. Darum sagen wir: Wegen mir doch nicht. Weil wir uns in letzter Konsequenz eben doch nicht für wirkliche Menschen halten, sondern für eine Art Gott, dem das alles doch bitte nichts anhaben kann. Und werden zu unseligen Gestalten, zu traurigen Göttern, aber sind keine wirklichen Menschen. Sich verfehlen, sterben, loslassen – das ist was für die anderen, doch nicht für mich, und das ist was für morgen, besser noch übermorgen, aber nicht heute.

 

Der Tod ist ja nichts anderes als das Gericht über diesen unseren Irrtum, mit dem wir alle irgendwie herumlaufen. Genau damit konfrontiert uns Jesus, diesen Spiegel hält uns sein Kreuz vor. Vielleicht doch keine so schlechte Idee mit dem Loch im Holzbild des Gekreuzigten? Ich darf mein Gesicht durchhalten. Und es ist, als hörte ich ihn sagen: Auch für dich ging ich diesen Weg.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

14.02.2019
Autor des Textes: Klaus Priesmeier