Leichtes Gepäck

Morgenandacht
Leichtes Gepäck
07.02.2017 - 06:35
05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

Irgendwie wird mein Koffer am Ende immer zu voll. Und mein Rucksack ist meist zu schwer. Mein Nackenkissen muss mit, mein kleiner Thermoskocher und der Tee. Und natürlich der Laptop und das Buch, das ich gerade lese. So sehr ich mich bemühe, mit leichtem Gepäck zu reisen – am Ende habe ich doch zu viel zu schleppen. Und wenn ich mich umschaue auf den Bahnhöfen und in den Innenstädten, dann sehe ich, dass es anderen auch so geht.

 

Ehrlich gesagt, ich ärgere mich darüber. Und ich schaue mit Neid auf manche junge Leute, die es schaffen, mit Handy, Rucksack und Kapuzenshirt weit zu kommen. „Omnia mecum porto mea“ – „All meinen Besitz trage ich bei mir“ soll der griechische Philosoph Bias von Priene gesagt haben, als er aus seiner Heimatstadt floh. Er gilt als einer der sieben Weisen der griechischen Antike. Viel kann er nicht bei sich gehabt haben, als er floh. Er dachte also nicht an materiellen Besitz – anderes war ihm wichtiger. Sein Wissen, seine Fähigkeiten: die konnte ihm keiner nehmen. Dass Erfahrungen wichtiger sind als der Kram, den wir anhäufen, das haben die Jungen heute begriffen, die mit Rucksack und Handy unterwegs sind, während ich mich noch abschleppe mit meinem Gepäck.

 

Leichtes Gepäck empfiehlt auch Jesus seinen Jüngern – sogar noch härter: den kompletten Verzicht auf all die Dinge, die uns lieb und teuer sind. „Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen“, erzählt der Evangelist Markus; „kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen“. Kein Rucksack also, geschweige denn Thermoskocher und Tee – und auch kein Geld, um unterwegs einen Kaffee to go zu kaufen. Wie soll das gehen? Unwillkürlich sehe ich die Wohnungslosen vor mir und die Schnorrer, die auf dem Bahnsteig um Geld für eine Fahrkarte betteln:Wer will schon so leben? Was Jesus da sagt, ist eine Zumutung!

 

Aber es gibt sie, die Christinnen und Christen, die das versuchen – die Gemeinschaften, in denen jeder einzelne auf persönlichen Besitz verzichtet. Die Franziskaner zum Beispiel, die wie ihr Ordensgründer Franziskus von Assisi den spirituellen Reichtum in der Armut suchen. Wer selbst nichts besitzt, wer nichts bei sich hat, ist auf die Zuwendung und Gastfreundschaft anderer angewiesen. Der muss bitten und manchmal auch betteln. Und kann bald unterscheiden, von wem Hilfe zu erwarten ist und von wem nicht. Wer offen und wer abweisend durchs Leben geht. Die Schnorrer am Bahnhof haben einen Blick dafür. Und umgekehrt gilt: wer weiß, wie es ist, unterwegs und bedürftig zu sein, wird den Reisenden die Tür öffnen – und mehr noch das Herz, wie es in den Klöstern heißt.

 

Die wenigsten leben so radikal. Selbst die Zahl der Orden schrumpft. Nur die Wohnungslosen und Flüchtlinge sind noch dicht dran an den Erfahrungen der Jesusgemeinschaft. Und vielleicht auch die, die alles verkaufen, was sie haben, und sich auf eine große Reise begeben. Die noch einmal neu anfangen wollen, das Leben neu entdecken – bei einem Auslandsaufenthalt, in einem Sabbatjahr oder bei einer Weltumseglung. Da reist man am besten mit leichtem Gepäck. Mit leeren Händen und offenem Herzen: was Jesus seinen Jüngern empfiehlt, macht den Neuanfang möglich. Jeden Tag.

 

„Alles, was ich habe, trage ich bei mir.“ Der Weise Bias von Priene erinnert an den unsichtbaren Besitz, die Schätze, die man nicht sehen kann. Jesus spricht von Schätzen im Himmel, die Motten und Rost nicht fressen können. Von dem, was nicht kaputt geht, was man nicht vergessen kann, womit sich keiner abschleppen muss. Von dem, was wirklich reich macht. Neue Erfahrungen gehören dazu und alte Freundschaften. Und Menschen, die mir und denen ich offen begegne.

 

Ein gutes Buch und eine Kladde für überraschende Ideen – die schleppe ich auf diesem Weg nun wirklich gerne mit. Sie sind so wichtig wie die Wasserflasche und das Handy. Anderes sollte ich lieber hinter mir lassen. Wer Erfahrungen sammeln will, darf den Rucksack nicht zu voll haben.

05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx