Martin Luther und das Reformationsjubiläum

Morgenandacht
Martin Luther und das Reformationsjubiläum
30.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel

Ein großes Datum steht bevor: Das Reformationsjubiläum. Im kommenden Jahr jährt sich die Veröffentlichung von Martin Luthers Thesen zum 500. Mal. Damals, im Jahr 1517, ahnte noch niemand, welche Dynamik von den 95 Wittenberger Thesen des Mönches und Theologieprofessors Martin Luther ausgehen könnte. Niemand hatte auch nur eine entfernte Vorstellung davon, dass die Kritik eines Mönchs an der Praxis der katholischen Kirche das ganze Land verändern würde. Auch Martin Luther selbst ahnte nicht, dass dieser Disput unter Theologen die Kultur Europas nachhaltig prägen würde, bis auf den heutigen Tag. Der Bundestag hat es in einem Beschluss festgehalten: bei dem Reformationsjubiläum im Jahr 2017 handelt es sich um ein „kulturgeschichtliches Ereignis von Weltrang“.

 

Mich beeindruckt, wie ein einfacher Mönch aus Sachsen die ganze Welt durcheinander brachte. Wie er seine Glaubensüberzeugung wacker aufrecht hält, und nur mit dem Verweis auf die Bibel gegen Fürsten und Kaiser antritt, ja sich sogar gegen den Papst auflehnt. Mir imponiert, wie er althergebrachte Denktraditionen über den Haufen wirft, die Bibel entschlossen in die eigene Sprache übersetzt, damit sie jeder lesen kann. Wie er zur Auflösung der Kloster aufruft und dann auch selbst eine Nonne heiratet. Für viele ist es ein Zeichen vorbildlicher Zivilcourage, wie Luther in Worms vor dem Reichstag auftritt und sagt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ Sogar dann, als es gefährlich wurde.

 

Luthers Worte sind zum Inbegriff eines freien Geistes in der Gesellschaft geworden. So verhält sich der mündige Bürger, der zu seiner Überzeugung steht und sich weder durch die Obrigkeit beeindrucken noch durch Repressionen entmündigen lässt. Aber dieser Satz, der wie ein Bekenntnis wirkt, hat auch noch eine andere Seite.

 

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ - diese bekannten Worte Luthers tragen dazu bei, dass viele Menschen sich auch in Glaubensfragen unabhängig machen - unabhängig von der ‚Obrigkeit’ und von der Kirche. In Anlehnung an Luther und seine Auseinandersetzung mit dem Papst scheint der Protest gegen „die Kirche“ mittlerweile fast zum evangelischen Profil zu gehören. „Glauben kann ich auch ohne Kirche“ sagen sich viele. Und „eine Beziehung zu Gott kann doch nicht von der Mitgliedschaft in einer Institution abhängen“.

 

Ergebnis dieser Argumentation sind auch die zunehmenden Kirchenaustritte. Zahlenmäßig betrachtet sieht es gar nicht so gut aus mit der lutherischen Kirche: In der Nordkirche hat beispielsweise die Mitgliederzahl ihren tiefsten Stand seit der Reformation erreicht. Und in Sachsen-Anhalt, immerhin das Mutterland der Reformation, gehören heute nicht einmal mehr 15 Prozent der Bevölkerung der lutherischen Kirche an.

 

Wer das Statement Luthers als Aufforderung dazu versteht, den Glauben zur Privatsache zu machen, hat den Reformator grundsätzlich missverstanden. Auch für Martin Luther war das Leben in der christlichen Gemeinschaft eine Grundsäule des evangelischen Profils. Gerade weil Werte wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Fürsorge und Mitgefühl zu den christlichen Idealen gehören; gerade weil die Verantwortung für die Mitmenschen und für die Welt zu dem gehört, was den christlichen Glauben ausmacht, gerade deshalb kann der Glaube niemals Privatsache sein. Wer den Glauben zur Privatsache machen möchte, verkennt diesen Auftrag zum sozialen Handeln.

 

Für Luther war jedenfalls eine Frömmigkeit, die kein diakonisches Handeln kennt und alle politische Verantwortung ablehnt unvorstellbar.  Die Zugehörigkeit von Christen zu einer konkreten Gemeinde genauso wie zur politischen Gesellschaft ist Voraussetzung, um christlichen Glauben leben zu können und ihn nicht nur im Munde zu führen.

27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel