Nach der Midlifecrisis: hinkend aber gesegnet ins neue Leben

Morgenandacht
Nach der Midlifecrisis: hinkend aber gesegnet ins neue Leben
04.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Ulrike Greim

Es ist der Sommer seines Lebens. Und er ist heiß. Ermüdend heiß. Eine Schwere breitet sich aus. Sein Frühling ist vorbei. Der Aufbruch. Er war der Mann der Stunde. Allen immer eine Nasenlänge voraus. Üppig, gewitzt, übermütig lebend. Blüte.

 

Jetzt kommt der auslaugende Sommer. Staub legt sich auf die Seele. Midlife crisis. Es stellt sich die Frage nach der Zukunft. Weiter so? Im fremden Land? Oder zurückkehren zur Familie?

 

Da wartet einerseits die Erinnerung an eine schöne Kindheit, andererseits liegt da vor allem seine Schuld. Handfeste. Betrug, vielfacher Betrug in existentiellen Belangen. Da wartet einer, den er betrogen hat und vor dessen Zorn er einst geflohen war, sein Bruder. Sollte er sich dem nun stellen?

 

Sommer ist die Zeit der Krise. Die Sonne scheint erbarmungslos. Die Vitalität lässt nach. Es geht an die Vorräte. Es geht ums Durchhalten. Um die Sinnfragen.

 

Dieser Sommer wird die Zeit des Übergangs. Jakob steht am Fluss. Er will zurück in die Heimat, aus der einst geflohen kam. Er will zurück zu seiner Herkunft. Zu den Wurzeln. Er will sich seiner Geschichte stellen.

 

Dazu muss er über den Fluss. Die Familie und die ganze reiche Sippschaft hat er schon hinübergeschickt. Die kommen auch ohne ihn klar. Er selbst steht am Ufer und ringt. Es wird Nacht. Umrisse sind nur schemenhaft zu erkennen.

 

Womit ringt er? Was hält ihn fest? Das Gewissen? Seine gut geübte Angst? Sein Stolz? Er ist ein Mann von Format. Einer in seiner Position ringt nicht, er handelt.

 

In der Mitte des Lebens steigt der Druck. Manche steigen aus. Zeit für den Seitensprung. Für die jüngere Geliebte. Sie gibt die nötige Energie. Sie tröstet, deckt behutsam die Scham zu.

 

Oder Zeit für den ersten Herzinfarkt. Ex und fast hopp. Krankenhaus, Reha, Therapeut. Rosen züchten. Zeit fürs Ehrenamt. Endlich mal was mit Sinn machen.

 

Jakob ringt. Soll er aussteigen? Soll er umsteigen? Oder soll er sich seinem Leben stellen. Mit allen Konsequenzen?

 

Er ringt mit einem mächtigen Gegner. Wortlos. Kraftvoll. Qualvoll. Wie besinnungslos investiert er alles daran, ihn in die Knie zu zwingen. Das Leben zu bezwingen. Gott zu zwingen. Und es sieht so aus, als habe sich dieser Gegner auch an ihm festgebissen. Als wären beide miteinander heillos verhakt. Anwesend, um sich auszulaugen.

 

Der Gegner kann ihn nicht in die Knie zwingen und schlägt ihm auf die Hüfte. Das tut weh! In der Hüfte sitzt seine Energie. Sie wird erschüttert.

 

Und der lichtscheue Gegner bittet, gehen zu dürfen, denn die Morgenröte breche an. Jakob ringt. Er lässt nicht los. Verbittert verkeilt er sich in seine Qual. „Ich lasse dich nicht, Du segnest mich denn“, presst er zwischen den Zähnen hervor. Die unbekannte Gestalt fragt nach seinem Namen. Und als Jakob ihn nennt, gibt ihm die Gestalt einen neuen. „Du sollst Israel heißen. Denn du hast mit Gott und Menschen gekämpft. Und hast gewonnen.“ (1.Mo32, 29)

 

In der Mitte des Lebens gibt ihm Gott selbst sein Geleit. Der Kampf ist ausgestanden. Der alte Jakob ist nicht mehr. Er ist hindurchgegangen zum neuen Mann der ersten Stunde. Einer, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen für seine Geschichte, seine Kinder, am Ende für ein ganzes Volk. Die Hitze des Sommers – sie hat ihn geläutert.

 

Nun kann er gehen, woher er kam. Hinkend, aber gesegnet.

16.06.2015
Ulrike Greim