Ora et labora

Morgenandacht
Ora et labora
11.07.2016 - 06:35
04.07.2016
Pfarrer Karl-Martin Unrath

Ora et labora, beten und arbeiten. Nach dieser Regel lebte der um 480 nach Christus geborene Mönch Benedikt von Nursia. Heute ist sein Gedenktag. Und deshalb ist heute ein guter Tag, über diese Regel des Benedikt nachzudenken.

 

Lange hatte Benedikt als Einsiedlermönch gelebt. Dann, im sechsten Jahrhundert, gründet er eine ganze Reihe von Klöstern. Das einfache, sich auf Verzicht und Gehorsam gründende Leben, erwartet er auch von seinen Mönchen. Die haben ihn dafür nicht immer geliebt. Zweimal, so erzählt die Heiligenlegende, hätten Mönche versucht, Benedikt zu vergiften. Er aber wurde jedes Mal auf wundersame Weise gerettet. Mit seiner Regel gab Benedikt dem europäischen Mönchtum jedenfalls eine Anleitung für das einfache Leben: Ora et labora, beten und arbeiten. Nach dieser Regel leben die Mönche noch immer.

 

Heute, rund 1500 Jahre nach dem Tod Benedikts, sagt ein früherer Mönch und heutiger Unternehmensberater: "Ora et labora, das ist die Grundlage für den heutigen Gedanken der Work-Life-Balance", also des gesunden Verhältnisses von Arbeit und Privatleben. Ob er den Asketen Benedikt da richtig verstanden hat? Jedenfalls bietet er entsprechendes Coaching an.

 

Eine alte Ordensregel also als Grundlage moderner Unternehmensberatung und Managementschulung? Das Geschäftsmodell scheint jedenfalls zu funktionieren. Nicht nur beim Ex-Mönch. Entsprechende Kurse und Einkehrtage werden von vielen benediktinischen Klöstern angeboten. Und sie werden von Führungskräften deutscher Unternehmen gerne gebucht. Für gutes Geld. Ob freilich diese Führungskräfte solche Kurse wirklich brauchen? Nun, wenn die Einkehr dazu führt, die Wirtschaft hier und da menschlicher zu machen, ist das Geld sicher gut angelegt.

 

Nur – wie eine neuere Untersuchung zeigt[1], haben Führungskräfte mit der Work-Life-Balance ohnehin die wenigsten Probleme. Den meisten Stress haben nämlich gerade nicht die Führungskräfte. Die erleben in der Regel ihre Arbeit als interessant, herausfordernd, erfüllend. Sie arbeiten selbstbestimmt, bekommen Anerkennung, haben bei der Arbeit vielfältige Kontakte. Und die Kasse stimmt auch. Den meisten Stress haben kleine Angestellte, Menschen in gering qualifizierter Arbeit, Frauen in Mehrfachbelastung durch Familie und Beruf, alleinerziehende Eltern. Arbeitslose sowieso.

 

„Work-Life-Balance für Alleinerziehende, Minijobber und Langzeitarbeitslose“ – auf ein solches Kursangebot bin ich noch nie gestoßen. Nirgendwo. Work-Life-Balance – irgendwie erscheint mir das eher als stylisher Luxusbegriff. Muss man sich leisten können.

 

Wo wäre der Heilige Benedikt heute eher anzutreffen, im Work-Life-Balance-Coaching für Führungskräfte oder an der Seite der kleinen Angestellten, Alleinerziehenden, Aufstocker und Langzeitarbeitslosen? Bei allen gleichermaßen, vermute ich. Bei den Führungskräften allerdings nicht wegen der Work-Life-Balance, sondern um sie darin anzuleiten, Menschen und Unternehmen in christlicher Verantwortung zu führen. Vor Gott, vor ihren Mitmenschen und vor ihrem eigenen Gewissen. Bei den Geringverdienern und Arbeitslosen wäre Benedikt, weil Kirche nun einmal bei den Schwachen zu sein hat. Ohne wenn und aber.

 

Ora et labora, beten und arbeiten. Diese ohnehin schon knappe Regel lässt sich, glaube ich, noch einmal zusammenfassen. In einem Wort: Hingabe. Wo Menschen sich an etwas hingeben, weil sie davon begeistert sind, da steht der Gedanke einer Work-Life-Balance auch gar nicht mehr im Vordergrund.

 

Ich verstehe Benedikt so: Wer von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes begeistert ist, der wird sich ganz dafür einsetzen, dass Liebe und Barmherzigkeit auch wirksam werden in dieser Welt. Der hält sich nicht zurück, der gibt sich dran. Ohne zwischen Arbeit und Leben zu unterscheiden tut er in Verbindung mit Gott, was um der Liebe Willen getan werden muss. Ora et labora.

 

[1] Vgl. Prof. Dr. Axel Haunschild, Work, Life, Balance, Ein kritischer Blick auf die Debatte zum Verhältnis von Arbeit und Leben, BiBB, BWP 1/2013, Diese Netzpublikation wurde bei der Deutschen Nationalbibliothek angemeldet und archiviert. URN: urn:nbn:de:0035-bwp-13108-9

04.07.2016
Pfarrer Karl-Martin Unrath