Rückzug tut not

Morgenandacht
Rückzug tut not
02.06.2018 - 06:35
01.03.2018
Ulrike Greim
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Ach, was war das nötig. Anfang des Jahres durfte ich mal aussetzen. Weil ich eine Grippe hatte und leider zu früh wieder angefangen hatte, zu arbeiten und dann war es dicker gekommen. Also hat der Arzt mir tief in die Augen geschaut und gesagt: abschalten. Richtig. Ruhen. Spazieren gehen. Nachdem die heftigeren Reaktionen abgeklungen waren, habe ich angefangen, es zu mögen, dass ich das darf: mich ausruhen. Keine Mails lesen, den Anrufbeantworter ausgeschaltet lassen, nicht erreichbar sein, mich nicht einmischen, keine Pläne machen. Einfach da sein.

Wieder einmal habe ich bedauert, nicht schon im Herbst richtig Urlaub gemacht zu haben, weswegen im Winter die Grippe ein leichtes Spiel hatte. Ja – öfter herausnehmen hätte notgetan.

Öfter abschalten, öfter nicht erreichbar sein. Öfter sein.

 

Es ist so viel wert: das Spazierengehen, das Lesen, das Malen. Wieder Sport machen – immer soweit der Atem reicht. Dann wieder ruhen. Ein kleines Paradies. Ich habe es mir gemütlich gemacht in meinem Leben. Hyggelig, so sagte es eine Freundin. Das sei dänisch und bedeutet: in jeder Hinsicht behaglich. Bei uns in der Region würde man es muggelich nennen. Richtig fein fand ich das. Ich habe die böse Welt draußen gelassen, fast keine Nachrichten gehört, keine schrecklichen Meldungen. Ich wollte nur den Himmel sehen, den Winter beobachten, schauen, wann die ersten Frühblüher herauskommen.

Und vielleicht war es vor allem das, was mir so gut geholfen hat, wieder auf die Beine zu kommen: die Spaziergänge im Park von Belvedere. Vor allem in den nebligen Morgenstunden, an denen sonst keiner dort zu sein schien: ein Genuss.

 

Dann habe ich gefastet. Dabei ist meine Fröhlichkeit wieder zurückgekehrt. Was für ein Fest!

Doch dann drohte der Tag, an dem ich mir vorgenommen hatte, wieder zu arbeiten. Es war ja eine Menge aufgelaufen. Und ich war auch eigentlich soweit wieder fit, oder nicht? Ganz sicher war ich mir nicht. Aber ich wollte wieder arbeiten. Eigentlich. Uneigentlich wollte ich es weiter hyggelig. Das ist so eine schöne Haltung!

Gibt es nicht einen Job, den man vom Sofa aus machen kann?

Nein. Meinen nicht.

 

Vor allem, als ich dann das erste Mal wieder ein größeres Projekt hatte mit großem Publikum, da hätte ich mich gerne wieder krankgemeldet. Wollte zurück an den Ofen, aufs Sofa. Da habe ich gemerkt: Man kann sich an diese Haltung auch gewöhnen. An dieses: Ich mach’s mir gemütlich und lasse die böse Welt draußen, ich bin nicht zuständig.

Und da ist mir deutlich geworden, dass ich viele kenne, die das zu ihrer Lebenshaltung gemacht haben. Und zum ersten Mal konnte ich sie verstehen.

 

Für mich war es, als müsste ich mich durch ein viel zu enges Rohr schieben. Hindurchzwängen, ringen mit mir und der Gemütlichkeit und dem Gewissen, bis ich endlich raus konnte.

Dann ist alles gut gegangen. Es hat wieder Spaß gemacht.

Und einmal mehr war mir deutlich, wie nötig es ist, sich regelmäßig Ruhe zu nehmen, es sich muggelich zu machen, spazieren zu gehen und die Welt einfach ihrem Fluss zu überlassen. Sich außerhalb dieses Flusses zu stellen und zuzusehen. Und dann wieder beherzt einzusteigen.

Einfach: einen Rhythmus bekommen.

 

Sabbat nennt sich die segensreiche Erfindung. Es gibt sie schon. Sie ist alt und weise und heftig aktuell. Sabbat heißt: die Ruhe genießen an jedem siebten Tag, Pflöcke einzuschlagen, zu sagen: Halt! Hier wird geruht. Betreten für Unbefugte verboten. Da bleibt das Handy aus, die Mails werden nicht nachgeguckt. Wir machen es uns hyggelig. Und gehen nur, soweit uns unsere Füße tragen und unser Atmen reicht. Mehr nicht. Wir sehen den Jahreszeiten zu und den Kindern, wie sie wachsen.

 

Und danach treten wir wieder ein in den Fluss des Geschehens. Weil wir es können. Weil wir ja den Sabbat haben. Dann brauchen wir nicht mehr den totalen Rückzug, die Entsagung vor der Welt, sondern wir arbeiten und wir ruhen. Wir mischen uns ein, wir ziehen uns raus, wir sind online, wir sind offline, wir fordern und wir fordern nicht. Wir regen uns auf, wir regen uns ab. Wir lachen und wir schweigen. Wir atmen ein, wir atmen aus.

So – finde ich – kann es bleiben. So soll es auch bleiben. Morgen ist Sonntag.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

01.03.2018
Ulrike Greim