Sehnsucht

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Kyle Sanguin

Sehnsucht
23.12.2021 - 06:35
15.09.2021
Melitta Müller-Hansen
Sendung zum Nachhören

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Die Sendung zum Nachlesen: 

„Weihnachten steht vor der Tür, es werden schon Bäume geschlagen

Rentiere aufgestellt und Lieder von Freude und Frieden gesungen

Oh, ich wünschte, ich hätte einen Fluss, auf dem ich auf Schlittschuhen fortgleiten könnte.

Ich würde meinen Füßen das Fliegen beibringen!“


„River“, von Joni Mitchell. Es hört sich an wie die Beschreibung einer Idylle: Weihnachten, Weihnachtsbäume, Rentiere. Alles wie sonst. Alle Jahre wieder. Aber „River“ ist alles andere als ein beschauliches Weihnachtslied. Hier ist jemandem zum Weinen zumute. Zum Davonlaufen. Zum Davongleiten auf einem Fluss. Und die Füße sollten am besten Flügel bekommen.

 

Dieses Lied habe ich erst vor kurzem für mich entdeckt. Als ich jung war, hätte ich es gebraucht. Da hatte ich eine solche Aversion gegen allen Weihnachtskitsch! Wie soll man unter dem ganzen Glitter und Glamour in unseren Städten und Häusern irgendwie zum Wesentlichen kommen? Ich hätte am liebsten alles abgefackelt, war besserwisserisch gegenüber meinen Eltern und mochte mich selbst dabei überhaupt nicht. Unter der Wut natürlich eine ungestillte Sehnsucht. Nach dem Echten! Wahren! Wirklichen! So melodramatisch konnte ich das damals beschreiben.

 

Dass Frieden kein leeres Versprechen bleibt. Mit der Schöpfung genauso wie mit meinen Mitmenschen und unter den Kulturen und Religionen. Darum geht es mir vor allem heute. Der Kitsch stört mich schon lange nicht mehr. Ach was, ich umgebe mich mit so viel davon, wie es mir guttut. Heute bin ich die Mutter und erlebe die Zerrissenheit meiner Söhne. Für so viele Jugendliche ist diese Welt gerade zum Davonlaufen.

  

„Ich bringe meinen Liebsten zum Weinen“ singt Joni Mitchel.

Er versucht verzweifelt, mir zu helfen, er liebt mich wie verrückt, beruhigt mich…

Aber es ist so schwer, mit mir auszukommen, ich bin egoistisch und ich bin traurig

Jetzt bin ich gegangen und habe den besten Schatz verloren, den ich je hatte.

Oh, ich wünschte, ich hätte einen Fluss, auf dem ich auf Schlittschuhen fortgleiten könnte“…

 

Joni Mitchel ist es an Weihnachten zum Davonlaufen.

Ganze Chöre singen davon, manchmal auch unhörbar. Wohin richtet sich diese Sehnsucht? Dieses offene Fenster der Seele.

Solange sie da ist, ist alles ok. Sehnsucht ist die Sprache des Advent: Reiß die Himmel auf! Komm! Hier ist es zum Davonlaufen!

 

Frieden, das ist die leiseste aller Geburten...‘ (1), höre ich bei Nelly Sachs. Doch mit der Sehnsucht, sagt sie, beginnt alles:

 

 

Immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres.

Das ist des Menschen Größe und Not:

Sehnsucht nach Stille,

nach Freundschaft und Liebe.

Und wo Sehnsucht sich erfüllt,

dort bricht sie noch stärker auf.

Fing nicht auch Deine Menschwerdung,

Gott,

mit dieser Sehnsucht

nach dem Menschen an?

So lass nun unsere Sehnsucht

damit anfangen,

Dich zu suchen,

und lass sie damit enden,

Dich gefunden zu haben.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

1. https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/feiertag/auf-der-sehnsucht-seil-11025

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.09.2021
Melitta Müller-Hansen