Spott

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Kelly Sikkema

Spott
19.01.2022 - 06:35
14.01.2022
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

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Die Sendung zum Nachlesen: 

„Wer den Armen verspottet, verhöhnt dessen Schöpfer;

Und wer sich über eines anderen Unglück freut, wird nicht ungestraft bleiben.“

 

So die Tageslosung für heute aus dem Alten Testament, Sprüche 17. Die Armen jedoch sind nicht nur im Leben die Dummen, sie werden gerne auch verhöhnt. Warum? Ach, weil die Vorstellung, bedürftig zu sein, für manche Starken, die auch noch gut verdienen, eine ungeheure Kränkung darstellt. Hilfsbedürftig sein, pflege- oder gar trostbedürftig - das kränkt manche, die sich unverwundbar wähnen.

 

Dabei ist es offensichtlich: Alle Menschen, ausnahmslos alle, auch die stärksten, haben gute Mütter ganz am Anfang getragen und gestillt und sauber gemacht. Und ganz am Ende ist es bei den meisten ähnlich. Wenn wir Glück haben, werden wir von freundlichen Menschen durch den Garten geschoben. Und gefüttert und sauber gemacht.

 

Und zwischen Anfang und Ende ist es im Grunde nicht anders, nur weniger offensichtlich. Wir sind äußerst bedürftige Menschen, auf andere unbedingt angewiesen. „Ich brauche niemand!“ - ist eine grandiose Selbstüberschätzung. Menschen sind endlich, hilfsbedürftig, zerbrechlich und verletzbar. Das aber ist schwer zu ertragen. Deshalb wohl tun nicht wenige so, als wären sie unverwundbar, als lebten sie ewig und brauchten niemanden.

Sich über das Unglück anderer freuen - dafür gibt´s im Deutschen ein besonderes Wort: Schadenfreude. Andere Sprachen müssen umschreiben, was damit gemeint ist. Oder sie übernehmen das deutsche als Fremdwort.

Einspielung: avec schadenfreude (Pierrette Onangolo)

 

Grundsätzlich schadenfroh war auch Herr Cacciavillani. Wenn er zum Beispiel sah, dass jemand vergessen hatte, die Scheinwerfer am Auto auszuschalten, freute er sich. An einem Morgen nun - und das war, als noch kein Piepston warnte, wenn man vergessen hatte, das Licht auszuschalten - an diesem Morgen parkte der ach so schadenfrohe Held sein Auto ziemlich weit weg vom Büro. Er war erst hundert Meter gegangen, da hörte er: „Sie haben das Licht an Ihrem Auto angelassen!“

Er drehte sich um, aber da war die Fremde schon weg.Cacciavillanis erster Gedanke war: Die will mich reinlegen! Doch dann dachte er nach. Wie kommt diese Frau dazu, einem Unbekannten zu sagen, dass das Licht am Auto noch angeschaltet ist? Schließlich hätte er sich diebisch darüber gefreut. Als er dann zu seinem Auto ging, um das Licht auszuschalten, entstand in ihm etwas, das er gar nicht kannte: „ein undeutliches Gefühl [...] der Verpflichtung gegenüber irgendeinem anderen Menschen in ähnlicher Lage.“ Einige Monate später fand Herr Cacciavillani eine Brieftasche. Voll mit Geldscheinen. Toll! Was für ein unglaublicher Gewinn!

Doch dann …, dann konnte er gar nicht anders, als an die Frau zu denken, die ihm damals hinterhergerannt war. Er schaute auf den Ausweis des Verlierers, auf das vergilbte Foto von zwei Kindern, und fuhr zur angegebenen Adresse. Der Mann hinter der Tür konnte es kaum glauben.

Er dachte: „So blöd müsst ich einmal sein und gefundenes Geld zurückgeben...“ Doch da irrte er sich. Eine Weile später geriet auch er in eine ähnliche Situation. Und dann war auch er „so blöd“.

 

Eine Kettenreaktion des Guten. Schadenfreude stellt sich unwillkürlich ein, sie passiert einfach, ohne dass man´s bewusst steuern könnte. Menschlich und nicht weiter schlimm! Wer sich jedoch vom Leid anderer förmlich ernährt, wem Spott und Hohn auf Schwache zum Lebenselixier werden, wird nicht ungestraft bleiben. Behauptet die Losung für heute.

 

Und da ist was dran. Man verliert die menschliche Fähigkeit, die Herr Cacciavillani erst durch die Kettenreaktion des Guten mühsam erlernt hatte: Die Fähigkeit zum Mitleid, zur Empathie. Die aber hält uns im Leben.

 

Literaturangaben:

 

  1. Paul Watzlawick, Vom Schlechten des Guten, München 1986, 53

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

14.01.2022
Peter Oldenbruch