Straßennamen

Morgenandacht
Straßennamen
07.10.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz

Das erste, was ich nach einem Umzug vergesse, sind Straßennamen. Nicht absichtlich. Ich sehe vor meinem inneren Auge noch genau den Straßenverlauf, die Häuser, manchmal bestimmte Bäume oder Geschäfte. Aber mir fällt beim besten Willen nicht mehr der Name der Straße ein. War es Uferstraße oder doch Hohe Straße? Ich kann mich auch noch an die Geräusche erinnern, die die Straßenbahn an dieser Kurve immer machte. Ich bin oft dort vorbeigekommen. Aber der Straßenname? Gelöscht. Dabei bin ich erst vor einem halben Jahr weggezogen.

 

Die Straßennamen meines neuen Wohnortes habe ich auch nicht wirklich parat. Noch greife ich zum Stadtplan, suche im Register. Zwar gibt es schon erste gewohnte Wege, die ich immer wieder nehme. Ich weiß, wo ich Einkaufen kann und so langsam überblicke ich das verwirrende System der öffentlichen Verkehrsmittel. Über vieles wundere ich mich noch – oder ärgere mich schon. Aber so wirklich zu Hause fühle ich mich nicht am neuen Wohnort.

 

Ich bin schon oft umgezogen.

 

Mancher Umzug war gewollt, erhofft – ja, ersehnt. Bloß weg! Möglichst alles hinter mir lassen, neu anfangen. Neue Leute, neue Arbeit, neue Umgebung. Dort wird alles besser. Das hat auch etwas von Abenteuer. Ich bekomme eine neue Chance. Ich darf ganz neu ich selbst sein.

 

Andere Umzüge waren eher fremdbestimmt. Es gab eben nur dort die Stelle. Ich war Arbeitsnomadin wieder Willen, wie so viele andere. Die Zeit war knapp. Bezahlbare Wohnungen rar. Dann wurde es eben diese. Eigentlich wollte ich ja gar nicht weg. Gerade hatte ich Wurzeln geschlagen, Beziehungen geknüpft.

 

Bei solchen Umzügen setzt bei mir das Heimweh ein. Der Vergleich zwischen hier und dort tut weh. Und ich sehne mich nach der Vergangenheit. Natürlich verkläre ich dabei auch: Da war doch alles besser und schöner und einfacher und überhaupt... Das, was ich dort erlebt habe, fehlt mir. Die Orte, die mich daran erinnern. Vor allem aber fehlen mir die Menschen, die mir wichtig wurden, die mir gut taten. Sie leben immer noch dort ihren Alltag. Nur eben ohne mich – ich bin jetzt wo anders. Und vergesse Straßennamen. Und habe Heimweh!

 

Aber wo ist meine Heimat? So oft bin ich umgezogen. So oft habe ich Liebgewonnenes zurückgelassen. Selbst der Ort meiner Kindheit ist nicht mehr so wie damals. Häuser wurden abgerissen, Läden wurden geschlossen, andere Menschen wohnen heute dort. Und manche davon habe ich einfach vergessen. Wie Straßennamen.

 

Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, auf die Frage zu antworten, woher ich denn komme. Alle Orte, an denen ich gelebt habe, sind Teil meiner selbst geworden. Die Menschen und die Räume haben mich geprägt. Ich habe sie bei mir – wenn auch nur in meiner Erinnerung.

 

Aber selbst das größte Heimweh weicht dem Alltag. Es ist schön, wenn am neuen Ort die Routine auftaucht: Morgens die gleichen Handgriffe um Frühstück zu machen, der vertraute Platz für die Zahnbürste, Rausgehen ohne Stadtplan. Neue Erlebnisse kommen dazu. Und Begegnungen mit Menschen, mit denen ich lachen kann und in deren Gegenwart ich mich wohl fühle.

 

Dann komme ich an. Bin nicht mehr fremd in der Fremde. So langsam fühlt es sich an wie ein zu Hause. Und ich kann sagen: Ich bin da.

 

Gottes Zusage macht mir das Umziehen leichter. In der Bibel wird solche Lebenserfahrung für mich greifbar. Zum Beispiel da, wo Gott Mose in einem Dornbusch begegnet. Gott beauftragt Mose, das ganze Volk Israel mit sich zu nehmen und umzuziehen: In die Fremde. Aber auch in die Freiheit. In ein Land, dass Gott ihnen zeigen wird.

Gott stellt sich selbst in dieser Geschichte vor und nennt seinen Namen: „Ich bin da, weil ich da bin“. Ein geheimnisvoller Name. Er macht deutlich, dass Gottes heilvolle Gegenwart in meiner Vergangenheit, in meiner Gegenwart und in meiner Zukunft sein wird. Wo immer ich meine Heimat suche – Gott sagt „Ich bin da, weil ich da bin“.

 

Solange ich mich daran erinnere, kann ich ruhig Straßennamen vergessen.

18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz