Totensonntag

Morgenandacht
Totensonntag
21.11.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrerin Lucie Panzer

Morgen ist Totensonntag. Viele waren in den letzten Tagen auf dem Friedhof oder gehen heute hin und schmücken die Gräber für den Winter. Besonders für ältere, die viele Gräber auf dem Friedhof pflegen, kann das auch eine Last sein. Genauso, wie es eine Last sein kann, eine große Wohnung in Ordnung zu halten und schön herzurichten. Es ist anstrengend Arbeit. Und dazu kommt oft der Druck von außen: Ich will mir doch nicht sagen lassen, ich hätte die Gräber meiner Lieben vernachlässigt. Bei der Wohnung kann man getrost überlegen, was man tut und wie man es macht und für wen. Was die Nachbarn sagen und die anderen Leute, das muss einen jedenfalls nicht unter Druck setzen. So wie jeder seine Wohnung herrichtet für sich und seine Familie, wie er es kann und mag, so sollte es auch mit den Gräbern sein, finde ich.

 

Denn irgendwie haben ja die Gräber auch etwas von einer Wohnung. Ein Ort, eine Art Wohnung für die Toten. Der Mensch, den ich lieb gehabt habe, ist nicht ganz verschwunden und einfach weg. Da ist noch ein Ort, wo ich ihm nah sein kann. Ich sehe manchmal Menschen an den Gräbern mit den Verstorbenen sprechen: Das tut gut, glaube ich, wenn man dem Verstorbenen sagen kann, was man auf dem Herzen hat. Und irgendwann, ist meine Erfahrung, hört das auf – und dann ist es auch gut.

 

Dass man es gut sein lassen kann – für mich ist das eine wichtige Verheißung für die Toten und für die Hinterbliebenen. Und ich nehme das ganz wörtlich: Ich kann es gut sein lassen. Mit der Betonung auf „gut“. Irgendwann hört das, was nicht so gut war auf, weh zu tun. In jeder Beziehung gibt es solche Stellen, die einem wehtun. Und die quälen einen erst recht, wenn der andere verstorben ist. Dass man es dann irgendwann gut sein lassen kann – das ist richtig Arbeit. Genau wie die Pflege eines Grabes. Ich muss mich dem aussetzen, was war. Wenn der Friedhof in der Nähe ist, kann man dorthin gehen. Immer wieder einmal – mit sich und mit dem Verstorbenen im Gespräch. Man kann immer noch einmal zur Sprache bringen, was war. Zu hören versuchen, was der andere wohl jetzt sagen würde. Meine Erfahrung ist: Irgendwann hört der Schmerz auf. Und auch die Vorwürfe, die Schuldzuweisungen und das schlechte Gewissen. Dann kann ich es gut sein lassen. Und meine Hoffnung ist: Die Toten, die da auf dem Friedhof liegen – die können das auch. Sie sind jetzt bei Gott geborgen. Sie müssen nicht bezahlen für das, was war. Sie sind auch nicht verdammt zu einer Wiedergeburt, mit der alles von vorn losgeht. Ich für mein Teil vertraue auf die wunderbare Ankündigung, dass Gott einmal alle Tränen abwischen wird. Wenn ich im Tod bei ihm aufgehoben bin – dann hört das Kämpfen auf und das Leiden, das Trauern, die Vorwürfe und die Angst - dann kann ich alles gut sein lassen. Dann ist alles gut.

 

Die Gräber sind wie eine Wohnung für die Verstorbenen. Und gar nicht so weit entfernt von meiner eigenen. Der Verstorbene ist eigentlich nur umgezogen. Ich habe dieses wunderbare Bild aus dem 23. Psalm. Da sagt einer: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang – und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Das ist für mich ein ganz tröstliches Bild. Lebende und Tote – ich und die, die ich hergeben musste – im selben Haus Gottes. Nur in verschiedenen Wohnungen. Und eines Tages werde ich auch dort sein, wo sie jetzt sind: Geborgen bei Gott. Der Totensonntag heißt deshalb auch Ewigkeitssonntag – weil er daran erinnert, dass wir beieinander und miteinander verbunden bleiben im selben Haus Gottes – über dieses Leben hinaus in Gottes Ewigkeit.

 

In den Evangelischen Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag werden fast überall die Namen der im letzten Jahr Verstorbenen vorgelesen. Auch das tut manchen weh, die zurück bleiben mussten. Aber es zeigt doch auch: Wir haben sie nicht verloren. Wir bleiben miteinander verbunden im Haus Gottes. Und es gilt für uns Lebende und für die, die uns schon voraus gegangen sind: „Gott wird abwischen alle Tränen und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Denn das ist vergangen.“ (Offb 21, 4)

 

Manchmal stelle ich mir vor, wie sie aus ihrer Wohnung dort bei Gott zu mir herüberschauen, voller Aufmerksamkeit für das, was aus dem wird, was sie angefangen haben. Aber gelassen und ohne Trauer und ohne Schmerzen, mit freundlicher Zuneigung. Für mich ist das eine sehr tröstliche Vorstellung.

18.06.2015
Pfarrerin Lucie Panzer