Trösten

Morgenandacht
Trösten
23.08.2016 - 06:35
22.08.2016
Pastor Frank Mühring

Trösten, das klingt so einfach und ist doch so schwer. Als junger Pastor mit nur wenig Berufserfahrung war ich als Seelsorger in einem Krankenhaus eingesetzt. Mit Menschen ins Gespräch zu kommen war dort meine Aufgabe. Um eine Station aber machte ich immer instinktiv einen Bogen. Dort waren die Männer und Frauen untergebracht, die am Kehlkopf operiert waren. Viele von ihnen konnten nicht sprechen. Wenn, dann nur mit einer tiefen schnarrenden Grabesstimme, die mich frösteln ließ. Ich fragte mich: Wie soll ich von Mensch zu Mensch mit Leuten reden, die nach einer Operation überhaupt nicht antworten können? Wie soll man so jemandem Trost spenden?

 

Einen Schreibblock und einen Kugelschreiber hatte ich stets griffbereit in der Jackentasche. So würde zumindest jemand in ein paar Worten aufschreiben können, was er auf dem Herzen hat. Dennoch fühlte ich mich bei diesen Patienten wie ein hilfloser Tröster. Mein einziges Werkzeug, die Sprache, schien hier nicht zu funktionieren. Oder wenn, dann nur in eine Richtung.

 

Einer der Männer aber, der frisch operiert war, machte mir Mut. Er muss meine Unsicherheit gespürt haben. Als ich schüchtern in das Zimmer des Patienten trat und nicht so recht wusste, wie ich in Kontakt treten sollte, zwinkerte er mir aus seinen hellen blauen Augen zu. Mehrmals, man konnte es nicht übersehen. Er streckte seine Hand aus und deutete auffordernd auf einen freien Stuhl. Als er meinen Schreibblock sah, bat er mich darum. Nur zwei Worte schrieb er auf: „Dableiben bitte.“ Und dann nickte er kräftig mit dem Kopf, als wollte er mir sagen: Mensch, trau dich doch, einfach ein paar Minuten bei mir zu sein.

 

Dableiben bitte. Das ist Trost. Trösten, das heißt nicht unbedingt Worte zu machen. Worte können manchmal reichlich unpassend sein. Können hohles Gerede sein und leeres Stroh bedeuten. Die Erfahrung aus dem Krankenhaus zeigt: Tröstlicher kann es für einen Menschen sein, mit seinem Gegenüber zu schweigen. Die Stille miteinander auszuhalten. Weil es im Grunde nichts zu sagen gibt. Weil Patient und Seelsorger beide genau wissen, wie ernst die Lage ist. Und  jedes überflüssige Wort stören würde. Dableiben bitte. Das ist Trost. Nicht wegzulaufen, auch wenn dich alle abschreckt zur Flucht drängt. Das Wort „Beistand“ drückt es gut aus. Manchmal kann man nur am Krankenbett dabei stehen. Aber das genügt und ist richtig. Nahe sein. Beieinander bleiben. In dieser Erfahrung liegt ein tiefer Trost.

Dableiben. Das macht auch Gott mit uns, wenn ein Schatten auf unser Leben gefallen ist. Er ist der Gott allen Trostes. Das zeigt mir das Kreuz. Es ist auch ein stummes Zeichen. Es macht nicht viele Worte. Aber es sagt mir: Gott kennt das Leid. Durch seinen Sohn Jesus Christus hat er es selbst erlebt. Die Angst vor Schmerz und Tod. Gott bleibt da, wenn dein Weg schwierig ist. In seiner Nähe darfst du schweigen. Bedürftig sein. Bei ihm darfst du weinen. Dadurch wird nicht gleich dein ganzes Leben wieder heil. Aber du weißt: Gott ist mir nahe. Er bleibt bei mir, wenn ich tief unten bin. Dafür steht das Kreuz.

In dem Zimmer des Kehlkopfpatienten blieb ich viel länger, als ich mir vorgenommen hatte. Wir schwiegen eine gehörige Zeit. Nach vielen, für mich kaum endenden Minuten, da wir beieinander saßen,  konnte der Mann fast ohne Stimme weinen. Die Tränen liefen ihm nur so über das Gesicht. Ich reichte ihm eine Packung Papiertaschentücher. In dem Moment kam es mir so vor, als lachte und weinte der Mann zugleich.

22.08.2016
Pastor Frank Mühring