Umkehr

Morgenandacht
Umkehr
20.04.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Jost Mazuch

Eine Kirche wird entwidmet. Als Raum für Gottesdienste aufgegeben. Das ist sonst immer ein schmerzlicher Tag. Aber als in der evangelischen Kreuzkapelle in Köln-Riehl vor einigen Wochen feierlich der letzte evangelische Gottesdienst begangen wurde, als am Ende symbolisch die beiden Altarkerzen ausgeblasen wurden, waren alle Beteiligten zufrieden. Denn diese Kirche wird nicht zum Bürohaus oder zum Restaurant umgebaut. Sondern sie wird zukünftig eine Synagoge sein. Die kleine liberale jüdische Gemeinde Kölns mit dem Namen Gescher La Massoret, „Brücke zur Tradition“, wird in Zukunft hier ihre Gottesdienste feiern und Raum für Veranstaltungen finden. Und damit findet eine bewegte und schwierige Geschichte ein Ende und einen neuen Anfang.

 

Die Kreuzkapelle, ein schlichtes, nur von einem hohen Erker geschmücktes Haus, wurde 1911 als Betsaal für die noch kleine evangelische Gemeinde im Stadtteil gebaut. Während des Nationalsozialismus war die Kreuzkapelle von 1939 bis 1943 Zuflucht für Christen, die aus jüdischen Familien stammten und darum von den Nazis verfolgt wurden. Es gab eine Kleiderkammer, eine Küche und Unterrichtsräume für Kinder. Die Evangelische Kirche versuchte hier, den aus rassistischen Gründen verfolgten Christen zur Auswanderung zu verhelfen. Gelungen ist das nur bei wenigen Ausnahmen.  Die meisten der mehr als 3000 Betroffenen wurden von den Nazis verschleppt und ermordet.

 

Vom Bahnhof Köln-Deutz aus wurden sie in die Todeslager im Osten deportiert. Vorher fanden für viele von ihnen noch Abschiedsgottesdienste, sogenannte ‚Schlussgottesdienste‘ in der Kreuzkapelle statt. Deportation und Mord mit einem Segen für die Opfer zu begleiten – aus heutiger Sicht erscheint das ungeheuerlich. Es war wohl der verzweifelte Kompromiss einer Kirche, die ihre verfolgten Mitglieder nicht im Stich lassen wollte, eine offene Opposition gegen das Nazi-Regime aber nicht wagte.

 

Wie kann man mit so einer Geschichte im eigenen Haus, in der eigenen Kirche leben? Seit vielen Jahren hat sich die Kirchengemeinde Köln-Riehl dieser Frage und der düsteren Geschichte ihrer Kapelle gestellt. Jedes Jahr in der Karwoche erinnerte sie am Gründonnerstag im Abendgottesdienst daran. Dann begann ein neuer, hoffnungsvoller Weg, als die noch junge liberale jüdische Gemeinde Kölns Räume für ihre Gottesdienste suchte. Die Riehler Protestanten boten ihr dazu Räume im Souterrain der Kreuzkapelle an. Seit 2001 fanden hier also Synagogengottesdienste statt. Diese ungewöhnliche Kooperation zwischen Kirchengemeinde und Synagogengemeinde sollte der Anfang eines neuen Kapitels in dieser belasteten Beziehung sein.

 

2007 entschied sich die evangelische Gemeinde, ihr Gemeindeleben ganz auf die größere Stephanuskirche zu konzentrieren. Nun stand die jüdische Gemeinde vor der Frage, ob sie das Haus alleine weiter nutzen wollte. Wegen der Vergangenheit der Kreuzkapelle war das eine schwierige Entscheidung. Es gab große Diskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinde, bis vor zwei Jahren der Beschluss gefasst wurde, das Haus zu kaufen. So kam es zu diesem denkwürdigen Ereignis im Februar: eine christliche Kirche wird in eine jüdische Synagoge umgewandelt.

 

Umkehr – hebräisch: Teschuva - ist im jüdischen Glauben ein wichtiger Gedanke; und auch im christlichen Glauben spielt sie eine große Rolle. Im 94. Psalm, der in Kirchen wie in Synagogen gebetet wird, heißt es: „Das Recht wird zur Gerechtigkeit umkehren und alle, die aufrichtigen Herzens sind, werden ihm folgen.“ Das ist eine gute Erfahrung: die Irrwege der Vergangenheit zu verlassen und umzukehren in eine neue Richtung. Die eigene Geschichte lässt sich nicht loswerden oder einfach vergessen. Doch Christen und Juden können sie heute gemeinsam neu gestalten. Die ehemalige Kreuzkapelle, die jetzt Synagoge wird, ist dafür ein schönes Zeichen.

27.12.2015
Pfarrer Jost Mazuch