Unbedacht

Morgenandacht
Unbedacht
08.10.2016 - 06:35
06.10.2016
Pfarrerin Silke Niemeyer

Waltershausen ist ein hübsches 13tausend-Seelen-Städtchen, schön gelegen am Nordrand des Thüringer Waldes. Es ist eine Reise wert. Das liegt auch daran, dass Urnengräber dort sensationell günstig sind. Die Asche vieler toter Seelen geht deshalb auf die Reise nach Waltershausen, und das kommt so: Wenn ein Mensch mittellos stirbt und kein Angehöriger mehr gefunden wird, ist das Ordnungsamt zuständig. Es muss dafür sorgen und dafür zahlen, dass der Tote bestattet wird.

Was sind das für Menschen, um die sich im Tod niemand kümmert? Manchmal sind es Menschen, die alle Bindungen verloren haben und nach und nach vereinsamt und verwahrlost sind. Manchmal sind es Menschen ohne Kinder, die alle Angehörigen überlebten und für die Altenheimkosten sämtliche Mittel aufbrauchten. Sie haben noch Nachbarn, Freunde und Bekannte, aber keinen, der ihre Bestattung übernimmt.

Manche Städte haben sich schlau gemacht und gefunden: In Waltershausen kann man seiner Pflicht besonders billig nachkommen. Also beauftragt man ein Bestattungsunternehmen, das den Leichnam ins Krematorium fährt. Da wird der Körper eingeäschert und die Asche in der verplombten Metallurne per DHL-Paket nach Thüringen geschickt. Dort wird sie anonym auf einer grünen Wiese in einem Gemeinschaftsgrab bestattet. Ohne Namen. Ohne Gottesdienst. Immerhin nimmt sich eine barmherzige städtische Mitarbeiterin Zeit für die auswärtigen Toten, geht mit und streut ein paar Blumen.

 

In der christlichen Tradition gibt es die sieben Werke der Barmherzigkeit: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene besuchen, Tote bestatten. Die Totenbestattung gehört dazu. Denn die Barmherzigkeit endet nicht, wenn ein Mensch tot ist. Der Tod nämlich kommt nicht nach dem Leben. Er gehört zum Leben des Menschen dazu. Sein Leib oder seine Asche müssen begraben werden, und das nicht so als wäre seine Würde schon zuvor begraben worden. Ein Toter ist das schwächste Glied der Gesellschaft. Er kann sich nicht mehr beklagen, wenn er mitleidlos behandelt wird, darum ist er besonders auf Barmherzigkeit angewiesen. Ein guter Umgang mit den Toten ist daher auch ein Werk der Barmherzigkeit an den Lebenden. Man frage sich für einen Moment: Was bedeutet es für einen mittellosen einsamen Menschen, wenn er weiß: Wenn ich sterbe, sieht meine Stadt meinen Leib wie totes Fleisch, das möglichst kostengünstig entsorgt werden muss. Und sie verfrachtet mich irgendwohin, wo mich niemand kennt. Viele wünschen sich an vertrautem und geliebtem Ort ihre letzte Ruhe zu finden, und das ist keine alberne Sentimentalität. Das sieht auch das Bestattungsgesetz so. Es schreibt vor, dass Art und Ort der Bestattung sich nach dem Willen des Verstorbenen und nach dem Empfinden seiner Glaubensgemeinschaft richten sollen. Doch einerseits wissen die meisten Menschen nicht, vor allem nicht die einsamen, dass sie ihre Wünsche zu Lebzeiten hinterlegen müssen. Andererseits nimmt manche Behörde es nicht so genau darauf zu achten.

Es liegt am Kostendruck. Es ist aber auch eine Mentalität, die für Barmherzigkeit keinen Sinn mehr hat, welche manche Städte auf die Idee bringt ihre Verstorbenen zur letzten Ruhe auf diese groteske letzte Reise zu schicken. Und das ist auch eine Demütigung der Lebenden, wenn ein Gemeinwesen geizig und unbarmherzig mit seinen Toten umgeht. Zum Glück gibt es viele Kommunen, die sich nicht von der makabren Sparfuchserei anstecken lassen. Sie nutzen ihren Spielraum der Barmherzigkeit, auch wenn es ein paar hundert Euro mehr kostet. Und wo bleiben die Kirchen? Sie stellen ihre Gotteshäuser zur Verfügung, sie helfen oft mit Geld, damit ein Gemeindemitglied eine würdige Trauerfeier bekommt. Sie arbeiten zusammen mit großzügigen Bestattern, die ihre Arbeit nicht in Rechnung stellen. Sie organisieren Gedenkgottesdienste für Unbedachte. Sie versuchen die Städte zum Umdenken zu bewegen.

Es wäre nämlich gut, wenn eine würdige Bestattung nicht allein an Barmherzigkeit hinge. Es wäre gut, wenn jeder, ob Christ oder nicht, dort seine letzte Ruhe fände, wohin er im Leben gehörte.

06.10.2016
Pfarrerin Silke Niemeyer