Und dein Glaube?

Morgenandacht
Und dein Glaube?
30.06.2018 - 06:35
01.03.2018
Evamaria Bohle
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„Und dein Glaube?“, fragen die Leute, die glauben, dass Glaube den Menschen heil, heiter und heilig macht. Stark. Mutig. Gesund. Wenn sie wüssten! Mir schwirrt der Kopf. Glaube. Dieses Wort, das so harmlos daherkommt und einen dann so plötzlich umarmt, dass man es riechen kann: Ein Aroma aus uraltem Kirchengemäuer und Wüstensand, aus Papier mit Goldschnitt und blühenden Linden, aus Ziegenkot, Feuerstelle und genug Wasser für alle. Sechs Buchstaben, in denen ein Dornbusch brennt und nicht verbrennt: „Zieh deine Schuhe aus, denn der Boden, auf dem du stehst, ist heiliges Land“, flüstert Gott. Und Mose zieht seine Schuhe aus und lernt einen unsichtbaren Gott kennen. So halten die jüdischen Denker es fest in der ganz alten Zeit. Jahrtausende später erzählt dann ein Vater seiner kleinen Tochter dieselbe alte Geschichte. Und wieder 50 Jahre später steht die Tochter, nämlich ich, im Berliner Stadtteil Wedding und lese eine Straßenschild: „Barfußstraße“, lese ich, und es denkt in mir: „Mein Glaube sollte barfuß gehen“. Kein Dornbusch in der Wüste, nur ein Straßenschild im Wedding.

 

Mein Glaube? Hat wie jeder Glaube eine Vor- und Frühgeschichte. In meiner Familie gehört Religion zur Erbmasse. Das ist eine unübersichtliche Angelegenheit: Ein, zwei, drei und mehr Generationen zurück gab es noch Katholiken und konvertierte Katholikinnen, Lutheraner, protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Salzburgerland, später Baptisten. Kaufleute, Bäcker, Schreiner, mittelständische Unternehmer, Schneiderinnen und Hausfrauen. Keine Akademiker. Das universitäre Studieren begann erst in der Generation meiner Eltern. Irgendwie christlich waren wohl die allermeisten. Für die einen war Tanzmusik und das Telefon vom Teufel, die anderen sangen Schlager und zertanzten in einer Nacht ein Paar Schuhe. Meine Mutter war in den Augen der freikirchlichen Familie meines Vaters keinesfalls fromm genug. Mein Vater, mit Sonntagsschule und Zeltmission aufgewachsen, trat in die Landeskirche ein, aber blieb den Gottesdiensten oft fern. Trotzdem gab es eine selbstverständliche Grundierung des Lebens mit evangelischer Religiosität: Bachkantaten und biblische Geschichten, Tisch- und Nachtgebete. All das weniger an Bekenntnissen orientiert, eher an einem Optimismus, dass der lebendige Gott es aushalten kann, wenn Kirchenlehre bezweifelt würde. Dass Glaube, wenn überhaupt, vernünftig sein müsse. Dass man nie, nie, nie aus Furcht oder Bequemlichkeit mit dem Denken aufhören dürfe. Schon gar nicht in einer Welt, in der Menschen Türme aus Glas machen, die nicht wanken, wenn die Erde mal bebt. In der über Mobilfunkverbindungen zum Mond nachgedacht wird und im Labor Steaks entstehen. Doch unter seiner Kleidung ist der Mensch nackt wie eh und je. Und: Er fürchtet sich.

 

Mein Glaube also: Krippe, Kreuz und Konfirmation, Singen und Sorgen und dieser Auftrag zur Wahrhaftigkeit. Hinsehen, auch wenn es wehtut. Glaube ließ Kathedralen wachsen und entfachte Kriege, unterdrückt und widersteht. Glaube bringt Gedichte, Lieder und Geschichten hervor, Krankenhäuser, Schulen und Gefängnisse. Glaube – sechs Buchstaben, die sich der Vernunft unterwerfen sollen, „auf dass wir Frieden hätten.“

 

Aber seit zwei Monaten geht mein Glaube barfuß. Er trägt die Schuhe in der Hand. Gott zieht meinem Denken die Schuhe aus. Ich weiß nicht, was das bedeutet, aber ich gehe weiter. „Das christliche Leben ist nicht Fromm-sein, sondern Fromm-werden, nicht Gesund-sein, sondern Gesund-werden, nicht Sein, sondern Werden, nicht Ruhe, sondern Übung. Wir sind's noch nicht, wir werden's aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gang und Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glückt und glänzt noch nicht alles, es bessert sich aber alles“, meint Martin Luther dazu. Vielleicht hat er Recht.

 

 

01.03.2018
Evamaria Bohle