Verantwortung

Morgenandacht
Verantwortung
17.11.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrerin Lucie Panzer

„Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass sie sich in anderen Ländern gegenseitig die Köpfe wegschießen“. Das hat eine junge Schülerin gesagt, 18 vielleicht oder 20. „Ich bin nicht verantwortlich. Deshalb fühle ich mich auch nicht verantwortlich für die vielen Flüchtlinge die hierher kommen. Da sollen sich mal schön die kümmern, die für deren Elend verantwortlich sind.“

 

Die junge Frau wollte sich kein schlechtes Gewissen machen lassen, weil sie gegen die Aufnahme der Flüchtlinge bei uns ist. „Da sollen sich mal die drum kümmern, die Schuld sind. Ich bin nicht verantwortlich!“ Damit ist sie raus aus dieser Sache, fand sie. Nicht verantwortlich und nicht zuständig.

 

Aber stimmt das eigentlich? Sind wir hier in Deutschland, in Europa, im Westen nichts zu tun mit den Kriegen und Konflikten zum Beispiel in Afghanistan, im Irak oder in Libyen? Unterstützt Deutschland nicht mit Waffenexporten die Konfliktgegner auf allen Seiten? Sind die Konflikte heute nicht auch die Folge der Einmischung westlicher Mächte in der Vergangenheit? Und in Afrika: Hat die Armut dort nicht auch zu tun mit Handelsbedingungen, die den Menschen dort die Luft zum Atmen nehmen?

 

Sicher: Auch dafür ist die junge Frau auf der Schulveranstaltung nicht verantwortlich. Jedenfalls nicht persönlich. Aber sind es die Flüchtlinge, die sich bei uns in Sicherheit bringen und Chancen zum Leben suchen?

Ich bin nicht dafür verantwortlich – der Satz hat mich nicht losgelassen. Und heute denke ich an eine junge Frau, nicht viel älter als die Stuttgarter Schülerin, die ich kennengelernt habe. Wenn die nun so gedacht hätte? Ich meine Elisabeth von Thüringen, am 17. November 1231 ist sie mit 24 Jahren gestorben. Man weiß heute noch von ihr, von vielen wird sie als Heilige verehrt, weil sie eben nicht gesagt hat: Dafür bin ich nicht verantwortlich. Elisabeth ist als Prinzessin auf der Wartburg bei Eisenach erzogen worden und hat dort sehr jung den Landgrafen Ludwig von Thüringen geheiratet. Elisabeth hat früh das Elend der Menschen in ihrem Land gesehen. Die Menschen hungerten, Krankheiten machten ihnen zu schaffen und es gab keine Hilfe für die Armen. Niemand fühlte sich verantwortlich. Elisabeth, die im christlichen Glauben erzogen war, aber schon. Sie kümmerte sich um die Armen, gab Korn aus und unterstützte sie mit Geld aus ihrem Vermögen. Sie pflegte persönlich Kranke und Sterbende.

 

Warum sie das getan hat, macht vielleicht eine Geschichte klar, die über sie erzählt wird. Einen obdachlosen Mann mit einer schlimmen Hautkrankheit hat sie auf ihre Burg bringen lassen um ihn dort zu pflegen. Ihr Hofstaat war empört. Wer weiß, was dieser Fremde ihnen da für Umstände und Krankheiten einschleppen würde? Sie wollten ihn aus dem Bett zerren. Da lag in dem Bett ein Bild des gekreuzigten Christus.

 

Die Leute, die diese Geschichte später so erzählt haben, haben wohl verstanden, warum Elisabeth sich für den Kranken verantwortlich gefühlt hat. Denn Jesus Christus hatte ja gesagt: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr für mich getan!“ Jesus hat die Armen und die Fremden als seine Brüder und Schwestern bezeichnet. Ich selbst bin wie sie, hat er gesagt. Und was ihr für sie tut, das tut ihr für mich. Und eigentlich auch für Gott.

 

Jesus ist der Bruder der Armen. Und er ist auch mein Bruder. Er hat Gott seinen Vater genannt und wir Christen haben von ihm gelernt, ebenfalls „Vater unser“ zu beten.

 

So sind wir also als Brüder und Schwestern verbunden. Und deshalb auch verantwortlich für unsere Brüder und Schwestern. Wenn ich an die Flüchtlinge in unserem Land denke, gilt das gerade auch jetzt, nach den Attentaten von Paris. Denn vor solcher Gewalt, wie wir sie jetzt erlebt haben, sind sie ja geflohen.

 

Ich meine: Gott selbst hat uns einander anvertraut. Wenn ich jemanden brauche, dann vertraue ich darauf, dass meine Brüder und Schwestern helfen werden. Und ich finde: Genauso sind Sie und ich verantwortlich für unsere Brüder und Schwestern, mit denen wir nicht verwandt sind. Nicht weil wir ihr Elend verschuldet hätten. Aber weil Gott uns verbunden hat.

 

Ich gebe zu: Man kann das auch anders sehen: So wie jene junge Frau, die sagt: Ich bin nicht verantwortlich. Aber ich meine, Christen, die das Vaterunser beten – die können das eigentlich nicht.

18.06.2015
Pfarrerin Lucie Panzer