Verdient?

Morgenandacht
Verdient?
07.09.2015 - 06:35
17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Womit habe ich das verdient? Mir geht es ziemlich gut. Gesundheitlich habe ich bisher nur die altersgemäßen Probleme. Schlechtere Augen, die Knochen tun manchmal weh.

 

Ich habe das Glück, in ein Land hinein geboren zu sein, in dem seit 70 Jahren kein Krieg herrscht. Ich muss nicht vor Krieg und meiner Regierung flüchten, die mir beim kleinsten Mucks ans Leben und die Freiheit geht. Wie Millionen Menschen auf der Welt, die nur das Pech haben, woanders geboren zu sein. Womit habe ich das verdient?

 

Der Klimawandel trifft uns hierzu lande bisher relativ moderat, anderen Menschen auf unserer Erde reißt er längst den Boden unter den Füßen weg. Oder trocknet ihnen die Erde aus, von der sie leben müssen.

 

Ich habe gut geratene Kinder.

 

Es gibt wunderbare Kulturangebote, jedes Wochenende wird in der Nähe gefeiert, so dass ich mich amüsieren kann.

 

Womit habe ich das verdient?

 

Wenn ich es ernstlich bedenke, eigentlich mit nichts. Frieden, Gesundheit, mitteleuropäisches Klima, liebenswerte Kinder. Zuerst einmal ist es da. Ich bin hinein geboren in dieses Land, in diese Zeit. Ich konnte mir das nicht ‚verdienen‘. Ich lebe von dem, was da ist und was andere Menschen tun.

 

Sicher, ich habe gearbeitet und Kraft eingesetzt, dass das private Gute vielleicht bleiben kann, mehr nicht. Ich habe versucht, meine Kinder vernünftig und liebevoll zu erziehen. Auf meine Gesundheit geachtet. Aber das hat ein früherer Klassenkamerad auch, vielleicht sogar mehr als ich, und der ist im Frühjahr gestorben. Er hat das nicht verdient und auch das hat mir ganz deutlich gemacht. Das Meiste ist unverdient. Gutes wie Schlimmes.

 

Die, die jetzt auf dem Mittelmeer unterwegs sind in einem alten Kutter oder Sie, die eine schwere Diagnose bekommen haben und krank sind.

Sie, die sich Sorgen müssen um Ihre Kinder. Und die Menschen, die auf der finsteren Seite unserer globalen Wirtschaft leben. Womit haben die und Sie das verdient? Mit nichts, finde ich.

 

Wenn ich mich frage: Warum ist es dann so? Bleibt mir oft nur: Es ist so. Warum geht es Menschen so? Es ist so. Unverdient und oft ungerecht. Und jetzt, wie lebe ich damit, wie leben Sie damit?

 

Ich finde, wenn Sie – wie ich – eher das Gefühl haben, ich habe ich doch ziemlich viel Gutes im Leben, dann können wir vor allem dankbar sein. Von Herzen. Und am Morgen beim Aufwachen daran denken. Nein, verdient habe ich mir das nicht.

 

Ich kann darauf achten mit meinen Kräften, dass das Gute gut bleibt. Indem ich es schätze und bewahre. Aber auch das kann ich mir nicht verdienen. Das mit der Gesundheit kann ja auch schnell anders aussehen.

 

Und: Wenn es Ihnen und mir unverdient gut geht. Wenn wir Grund haben, dankbar zu sein, dann können wir beistehen. Denen, die ihren Kummer nicht verdienen.

 

Dankbarkeit ist nicht nur ein Gefühl, das ich nach innen empfinden kann und das ich Gott gegenüber ausdrücke, wenn ich bete. Dankbarkeit kann eine Lebenshaltung werden. Die man nicht nur empfindet, sondern die man dann auch nach außen spüren lässt. Die anderen zu Gute kommt. Gelebte Dankbarkeit kann viel bewirken.

 

Sie kann bewirken, dass ich mich engagiere für Flüchtlinge, damit der ein oder andere von ihnen wenigstens hier Gutes erleben kann.

 

Sie kann bewirken, dass ich ins Krankenhaus gehe und jemand besuche, der schwer krank ist, auch wenn ich mich ein bisschen überwinden muss, das fremde Leid zu sehen. Und ich oft nicht weiß, was ich sagen soll.

 

Dankbarkeit kann bewirken, dass Sie sich um die Natur kümmern und mithelfen, dass nicht noch mehr Flächen versiegelt werden. Sie kann bewirken, dass Sie Ihren Kindern etwas Gutes tun.

 

Wenn wir andere Menschen so spüren lassen, dass wir -im Grundsatz jedenfalls- dankbar sind, dass wir leben.

 

Und wenn ein Flüchtling oder die Besuchte im Krankenhaus sich dafür bedanken, und uns das gut tut oder sogar glücklich macht.

 

Das haben wir dann vielleicht sogar verdient.

17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann