Vertrauen

Morgenandacht
Vertrauen
20.04.2015 - 06:35
03.04.2015
Pfarrerin Sandra Zeidler

Als Kind bin ich beim Skifahren jeden Hang hinunter gerast. Rote Piste, schwarze Piste, Buckelpiste. Nichts war mir zu gefährlich – wer fährt denn schon den Anfängerhügel?! Mit Freude und ohne jedes Zögern habe ich mich den Hang hinuntergestürzt. Wenn die andern im Skikurs mit der Seilbahn runter wollten, weil sie schon müde waren, bin ich noch die Talabfahrt gefahren. Ich erinnere mich nicht, dass ich große Angst gehabt hätte, eher war ich draufgängerisch: Juchhu, jetzt noch die Schussfahrt!

 

Heute denke ich, dass ich vor allem viel Vertrauen hatte. Selbstvertrauen: dass ich Skifahren kann, weil ich es ja gelernt habe und weil ich tolle Skier hab. Und auch ein Grundvertrauen ins Leben. Das Grundvertrauen, dass es das Leben gut meint, dass es Spaß macht und dass es sich in seiner ganzen Fülle zeigt, wenn ich mich darauf einlasse.

 

Das sagt jetzt die erwachsene Frau im Rückblick. Heute bin ich ängstlicher und ich sehe sofort jede Gefahr, der sich ein Kind schon auf dem Spielplatz aussetzt, beim Fahrradfahren und beim Springen auf dem Sofa: du wirst ausrutschen mit deinen Socken und dir bös den Kopf anhauen! Vielleicht kommt das automatisch mit den Jahren, man hat sich ja selbst auch schon bös den Kopf angehauen. Und das Herz auch, vielleicht gerade dann, wenn man zu viel vertraut hat.

 

Aber wie soll das Leben gehen ohne Vertrauen? Die Eltern der Schüler und Schülerinnen aus Haltern haben ihre Kinder voll Vertrauen nach Barcelona fliegen lassen, vielleicht gab es nur den winzigen Gedanken, den viele haben beim Fliegen: wie das geht, verstehe ich nicht, aber es fliegen so viele, wird schon gut gehen. Vertrauen ist oft da, ohne dass man es so benennen könnte. Mit selbstverständlichem Vertrauen in den Flieger zurück nach Deutschland einsteigen, ohne groß darüber nachzudenken. Vertrauen, dass die Technik perfekt läuft und regelmäßig gewartet wird. Vertrauen darauf, dass der Pilot gut ausgebildet und verantwortungsvoll ist. Das Vertrauen der Angehörigen der Passagiere des germanwings Fluges – es ist jetzt tief erschüttert, das Grundvertrauen, dass das Leben es gut meint.

 

Ohne Vertrauen kann man nicht leben. Lässt sich das Leben besser meistern, wenn nur noch Sicherheit und Angst regieren? Dass die Tür zum Cockpit von innen zu verriegeln war und von außen nicht mehr zu öffnen – das ist nach den Anschlägen vom 11. September eingeführt worden, um sich gegen Terroristen abzusichern. Bei dem germanwings Flug ist es zum todbringenden Detail geworden. Ein Streben nach Sicherheit, das zum Verhängnis werden kann.

 

In der Diskussion geht es jetzt um immer mehr Sicherheitsmaßnahmen. Es gab sogar den Vorschlag, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben: Ärzte müssten dann den Arbeitgeber über Krankheiten informieren. Aber so wäre das Verhältnis zwischen Arzt und Patient erschüttert, bei dem Vertrauen wichtiger Teil des Heilungsprozesses ist.

 

Ich möchte natürlich auch Sicherheit haben. Und genau deswegen frage ich mich: Womit kann ich mein Vertrauen stärken? Was kann ich dazutun, dass nicht die Angst mein Leben kontrolliert und mich klein hält? Worauf kann ich vertrauen?

 

Mir helfen uralte, lebensdurchtränkte Worte: Die Psalmen in der Bibel. Nichts wird da beschönigt, nichts gutgeredet. Verzweifelte flehen Gott an, Wütende schreien ihn an, aber wie eine Grundmelodie zieht sich ein Lied des Vertrauens durch die Psalmen: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt“ so fängt eines davon an, „und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu Gott: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“

 

Das hilft mir gelassen zu bleiben, denn in Gottes Burg bin gut aufgehoben. Mich soll das Unglück nicht erobern, denn es wird nur gegen die Mauern rennen. „Denn Gott ist deine Zuversicht“ so geht das Vertrauenslied weiter und es gilt allen Menschen: „Der Höchste ist deine Zuflucht.“ Ich bin dankbar, dass diese Zuflucht weder von Technik noch von mir als Mensch abhängt.

03.04.2015
Pfarrerin Sandra Zeidler