Von der Reinlichkeit

Von der Reinlichkeit
18.06.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Angelika Obert

 

Sendung zum Nachhören

Wer auf sich achtet, kommt an Ernährungsfragen nicht vorbei. Denn es hat sich herumgesprochen: Du bist, was Du isst. Ausgewogen, sagen die Fachleute, solle man sich ernähren. Aber Vielen ist das nicht genug. Zum bewussten Essen gehört für sie auch, bestimmte Nahrungsmittel ganz zu vermeiden. Entweder das Fleisch oder die Milchprodukte oder alles, was mit Getreide zusammenhängt. Für jede restriktive Ernährungsweise gibt es triftige Gründe, wenn die Lehrmeinungen auch ähnlich wie bei der Religion weit auseinander gehen.

 

Mit Religion hat es ja auch zu tun, wenn man den eigenen Organismus reinhalten und ungesunde Einflüsse vermeiden will. Dafür gab es schon zu biblischer Zeit strenge Speisegebote und Reinigungsrituale. Sie waren Teil der religiösen Praxis. Aufgeklärte Menschen meinen, das seien eben damals schon einfach Hygienemaßnahmen gewesen. Aber es ging doch um mehr: Es ging um das Bedürfnis nach einer richtigen Lebensführung, um den Willen, das Ungute von sich fernzuhalten, die eigene Identität zu schützen. Und um Ähnliches geht es ja wohl auch heute noch, wenn wir aus der Ernährung eine Vermeidungswissenschaft machen.

 

Heute wie damals gab es Menschen, die es mit der Reinheit beim Essen sehr genau nahmen und andere, die etwas nachlässiger waren. Zu Letzteren müssen die Jünger Jesu gehört haben, die ja eher aus der Unterschicht kamen. Sie wurden dabei beobachtet, wie sie ihr Brot mit ungewaschenen Händen aßen. Das warf ein schlechtes Licht auf Jesus, ihren Lehrer. Jesus wurde zur Rede gestellt und gab eine Antwort, die selbst seine Jünger nicht verstanden. Er sagte: „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen. Sondern das, was aus dem Menschen herauskommt, das ist es, was ihn unrein macht.“ (Markus 7, 12)

 

„Wie hast du das denn gemeint?“ fragten ihn die Jünger später, die wegen ihrer ungewaschenen Hände wohl noch ein schlechtes Gewissen hatten. „Das versteht ihr nicht?“ wunderte sich Jesus. „Überlegt doch mal, was so alles in einem Menschenherzen rumort: Böse Gedanken, Hochmut, Selbstsucht, Gier, Hinterlist, maßloser Ehrgeiz und noch einiges mehr – diese ganzen Antriebe wohnen in euch und verschmutzen euch die Seele, weil ihr sie unbeachtet wuchern lasst. Das vergiftet eure Urteile, euer Reden, euer Handeln – und darum kommt ihr aus der sozialen Klimakatastrophe nie heraus. Euer Körper, der hat ja wenigstens ein Immunsystem, das sich meistens zu wehren weiß. Euer Zusammenleben – das wird viel schneller krank, weil ihr euch nicht die Bohne um die Schadstoffe kümmert, die ihr selber ausstoßt!“

 

Harte Worte, auf die ein betretenes Schweigen folgt. Wieder einmal sieht Jesus die Dinge genau andersherum. Er interessiert sich nicht für den Schmuddel draußen, er denkt an den verborgenen Schmuddel im Herzen. Reinheit ist für ihn keine Frage der Abwehr und der Vermeidung, sondern vielmehr eine Frage des eigenen Denkens, Redens und Handelns.

 

Wir hätten doch die Wahl, behauptet Jesus, ob wir uns von Missgunst, Angst und Eigennutz treiben lassen und die Atmosphäre mit Hass und Unterdrückung vergiften. Oder ob wir etwas dafür tun, dass Menschen in unserer Nähe aufatmen und sich angenommen fühlen. Wir könnten doch Frieden in unserer Umgebung schaffen, könnten dafür sorgen, dass die Übellaunigen lächeln und die Ängstlichen Mut fassen. Wir könnten das soziale Klima bereinigen, wenn wir nur mal von innen anfangen wollten mit dem Sauberhalten.

 

Sicher weiß auch Jesus: So einfach ist das nicht, die eigenen Gedanken und Antriebe in Schach zu halten. Ich kann mich selbst nicht so kritisch betrachten wie eine Fertigsuppe und alle meine schädlichen Inhaltsstoffe vom Etikett ablesen. Ich würde, wenn ich's könnte, ja auch nie aufhören, welche zu entdecken. Die vollkommene Reinheit im eigenen Herzen – die wäre ein Wahn.

 

Aber das will Jesus ja wohl auch sagen: Ein bisschen wahnhaft seid ihr, wenn ihr glaubt, das richtige Leben sei eine Frage der unbedingten Reinheit. Gesundheit tut gut, ein freundliches Herz aber tut noch viel besser.

27.12.2015
Pfarrerin Angelika Obert