Wenn der Resonanzdraht glüht

Morgenandacht
Wenn der Resonanzdraht glüht
20.02.2017 - 06:35
19.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem

Jeder Mensch braucht das Gefühl, dass er etwas geben kann und dass er etwas zurückbekommt. Dass er gehört wird und selber auch etwas zu sagen hat. Dass eine Wirkung von ihm ausgeht und andere auf ihn zurückwirken. Geschieht das, fühlt sich der Mensch lebendig. Er fühlt dann eine Schwingung; er erfährt ‚Resonanz‘.

 

Hartmut Rosa, Professor für Soziologie in Jena, hat ein dickes Buch darüber geschrieben, was mit ‚Resonanz‘ gemeint ist. Jeder Mensch braucht dieses Grundgefühl: was ich tue, beeinflusst und bewegt meine Welt. Und umgekehrt merke ich, wie ich beeinflusst und berührt werde durch das, was andere sagen oder tun. Diesen Draht zur Welt nennt Hartmut Rosa: Resonanz, nicht messbar, aber trotzdem spürbar und lebendig machend.

 

Wenn Menschen dauerhaft das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, dann ist „der Resonanzdraht (…) durchgeschnitten“ (Hartmut Rosa im Interview mit Merkur Nr. 16, Freitag 20. Januar 2017, Seite 4). Dann ist mehr als nur die Kommunikation gestört. Wenn Menschen sich dauerhaft von Politik und Gesellschaft abgeschnitten fühlen, weil sie den Eindruck haben, was sie sagen, wird nicht gehört, dann sind sie eines Tages für kein Argument und keine Fakten mehr zugänglich.

 

Manchmal gibt es Menschen, die können da wieder etwas in Gang bringen. Die sich selber als Schwingungsmembran zur Verfügung stellen. Als in München im kalten Winter eine Pegida-Demonstration stattfand, hat der Pfarrer einer Kirchengemeinde eine Bierbank aufgestellt, und es gab heißen Tee für die Menschen, deren Hass auf Flüchtlinge und die Politik er überhaupt nicht geteilt hat. Aber er war da, hat zugehört, vielleicht gab es auch mal Streit. Aber dann auch wieder den heißen Tee, der allen gut tat, die in der Kälte standen. Ich war nicht dabei, aber ich hoffe, der Resonanzdraht hat wieder ein wenig zu glühen begonnen.

 

In diesem Jahr erinnern wir an die Reformation vor 500 Jahren. Plötzlich hatten Menschen Gehör gefunden, die bisher der festen Überzeugung waren, niemand hört sie. Was muss das für eine elektrisierende Erfahrung gewesen sein, dass jemand da ist, der ausspricht, was mich bewegt! Der etwas in Schwingung bringt und lebendig macht. Der Mönch aus Wittenberg war so eine Art Resonanzkörper. Damit hatte niemand gerechnet, dass das Mönchlein in seiner Klosterzelle den Sehnsüchten der Menschen draußen Wort und Stimme geben würde. Durch Martin Luthers Bibelübersetzung in die Alltagsprache entstand plötzlich eine Resonanz zwischen ihm und den Menschen. Aber auch zwischen ihnen und Gott – weil sie nun selber in der Bibel lesen konnten, was Gott sagt.

 

Diese Resonanz ließ die Menschen singen. Das evangelische Kirchenlied wurde erfolgreich zur schwingenden Membran der Gemeinde. Gemeinsames Singen in der Sprache, die die Menschen auf der Straße sprachen, schuf – damals wie heute – Zusammenhalt und Geborgenheit. Wenn ich singe, tritt etwas von außen an mich heran – Noten und Worte – und doch singe ich sie aus mir heraus. Und wenn ein schöner Choral oder ein Gospelsong oder eine Ballade zu hören ist, dann möchte man als Hörer gerne selber mitsingen und mitschwingen. Dann leuchten die Augen, das Herz geht auf – das ist göttliche Resonanz.

 

Martin Luther hatte es begriffen: aus Buchstaben, Wörtern und Sätzen der Bibel tritt die Stimme Gottes ganz direkt heran an den, der zuhört. Es tut gut, wenn ich mir im Zuhören etwas sagen lasse. Dann kann das Gehörte mir zum Wort Gottes werden, das mich berührt, bewegt und verändert. Ich selber habe angefangen, wieder laut zu lesen. Anfangs noch ungewohnt, ist es für mich zu einem Ritual geworden. Manchmal denke ich, dass auch der Erfolg von Hörbüchern nur so erklärbar ist: hörbare Stimmen berühren und bewegen mich tiefer, als wenn ich etwas in Gedanken lese.

 

Auch das sind Schätze der Reformation: Menschen, in deren Stimme die Stimme Gottes zu hören ist. Durch sie wird Gott hörbar in unserer Welt.

19.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem