Wenn ich Kaiser von Deutschland wär

Morgenandacht
Wenn ich Kaiser von Deutschland wär
18.01.2021 - 06:35
18.01.2021
Jörg Machel
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Wenn man ein Kaiserreich zu gründen hätte: Wie würde man das machen? Ich würde mich erst einmal hinsetzen, tief durchatmen und beten: Lieber Gott, das ist eine so große und wichtige Sache, hilf beim Gelingen. Dass möglichst viele Menschen in diesem Reich glücklich werden. Und die drum herum auch.

Dann würde ich überlegen: Es müsste eine große Gründungsfeier geben, von der man sich noch in Jahrzehnten erzählt. Irgendwo mitten im Land müsste es stattfinden, wo möglichst viele hinkommen können. Kinder müssten dabei sein, Handwerker, Lehrerinnen, Bänker, Fensterputzer, Beamte, und auch vom Militär wären einige dabei und von den Religionen.

Es müsste ein fröhliches Fest werden, bunt geschmückt. Schließlich braucht so ein Reich auch etwas fürs Herz: Es müsste also eine Fahne geben mit schönen Farben.

All das gab es nicht, als heute vor 150 Jahren das Deutsche Kaiserreich proklamiert wurde. Einen Festakt gab es schon, aber nicht in Deutschland, sondern in Versailles bei Paris. Dort war man gerade dabei den Krieg gegen Frankreich zu gewinnen. Und das prägte das ganze Denken. Der feierliche Akt im dortigen Königsschloss demütigte nicht nur den damaligen Feind, man lieh sich damit auch etwas von seinem Glanz – denn die Zeremonie fand im goldenen Spiegelsaal statt. Anwesend waren fast nur Männer in Uniform. Wie ein Staat sich gründet, sagt viel über ihn aus. Das Deutsche Kaiserreich wurde im Krieg gegründet, 1871, und ging im Krieg wieder unter, 1918.

Aber immerhin: Es begann mit einem Gebet, einem Gottesdienst sogar. Und sicher waren fromme und verantwortungsbewusste Menschen dabei, denen es guttat, diesen Moment vor Gott zu bringen.

Allerdings diente der Gottesdienst eigentlich einem anderen Zweck. Wilhelm I., der neue Kaiser, wollte deutlich machen: Ich nehme mein Amt nicht vom fernen Volk in Empfang, sondern von Gottes Gnaden. Nicht das Volk sollte also seine Herrschaft legitimieren, sondern Gott. In meinen heutigen Augen war das ein klassischer Missbrauch des Glaubens. Heute haben der Staat und die Glaubensgemeinschaften ein besseres Verhältnis zueinander gefunden. Darüber bin ich sehr froh. Sie halten Abstand und respektieren ihre verschiedenen Aufgaben.

Zurück nach Versailles, vor 150 Jahren: Eine schöne, neue Fahne hatte das neue Reich auch nicht. Man nahm kurzerhand das, was da war: Die Farben Preußens und die Farben der Hanse. Das war Schwarz-weiß-rot gestreift. Die Militärs fanden das zu schlicht. Ihre Fahne bekam deshalb zusätzlich zwei martialische Kreuze. In die Mitte kam ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund. Ein alter Bekannter: ursprünglich das Zeichen des deutschen Ritterordens aus der Zeit der Kreuzzüge. Inzwischen längst preußisch vereinnahmt, denn da, wo am christlichen Kreuz der Körper Jesu hängt, da prangte nun der preußische Adler. Die unheilvolle Verbindung von Glauben und Gewalt ist lang. Das zweite Kreuz kam auf die Fahne oben-links. Auch schwarz, aber es hatte geschwungene Ecken: das Eiserne Kreuz, der preußische Tapferkeitsorden.

Unter dieser Reichskriegsflagge mit den zwei Kreuzen sind Millionen Menschen elendig gestorben, zerfetzt in den Schützengräben, dahingesiecht in den Gefangenenlagern, ertrunken im kalten Meer.

Noch vor wenigen Jahren hätte ich es für überflüssig gehalten, darüber heute zu sprechen. Doch nun taucht diese Reichskriegsflagge wieder auf. Auf Demonstrationen, die sich gegen alles Mögliche richten. Die, die es tragen, sehen diese Fahne offenbar als Symbol für ein besseres Deutschland. Besser als das, was unter der schwarz-rot-goldenen Fahne zur Demokratie gefunden hat.

Ich finde das absurd. Es verhöhnt die Opfer, es setzt den Missbrauch Gottes fort. Der christliche Glaube, wie ich ihn verstehe, kann Soldaten und andere trösten, aber nicht einen Militarismus legitimieren. Der christliche Glaube schaut auf die Welt als Ganze - für Nationalismus hat er nichts übrig. Für ihn sind alle Menschen Kinder Gottes, nicht Untertanen, nicht Kanonenfutter. Und diesen Glauben lebt man besser in einer Demokratie, die die Rechte der Menschen achtet und auch ihren Glauben.

Es gilt das gesprochene Wort.

18.01.2021
Jörg Machel