Zielorientiert

Morgenandacht
Zielorientiert
11.08.2016 - 06:35
11.08.2016
Pfarrerin Lucie Panzer

Wenn man sich auf einen Weg macht, beim Wandern im Urlaub oder sonst im Leben, dann muss man ab und zu den Kopf heben und nach dem Ziel Ausschau halten. Innehalten und fragen: Wo soll es eigentlich hingehen? Wer einen neuen Weg geht, schaut nämlich oft nur mit gesenktem Kopf immer auf den nächsten Schritt. Klar, man muss ja vorsichtig sein. Man weiß ja nicht, wo die Stolperfallen sind. Wer Neuland vor sich hat fragt deshalb oft nur: Wie kommen wir durch - und eben nicht: wo wollen wir überhaupt hin? Aber so, immer mit gesenktem Kopf und dem Blick auf den nächsten Schritt, verirrt man sich leicht. Man verliert das Ziel aus den Augen und kommt plötzlich irgendwo an, wo man eigentlich gar nicht hin wollte. Deshalb sind, meine ich, unter anderem die Geschichten des Evangeliums so wichtig. Nicht weil darin stünde, wie man es macht. Aber wo es hingehen soll, das Ziel, ein gutes Miteinander zum Wohl und zum Heil der Menschen, das wird da beschrieben.

 

Ich will heute Morgen ein Beispiel nennen: Jesus hat es erzählt. Seine Geschichte handelt von einem Weinbergbesitzer, der Arbeitskräfte sucht. Er stellt also Arbeiter ein: den ganzen Tag über, die letzten noch kurz vor Feierabend. Und am Ende zahlt er jedem den Lohn, den er schon mit den ersten vereinbart hatte. Einen Denar. Soviel, wie damals eine Familie brauchte, um leben zu können. Dem Weinbergbesitzer war anscheinend wichtig, dass möglichst viele Arbeit finden und Auskommen.

 

Er hätte es auch anders machen können: Überstunden anordnen. Oder Akkordlohn zahlen. Dann hätten die zuerst eigestellten die Arbeit vielleicht allein geschafft. Für den Weinbergbesitzer hätte sich das wahrscheinlich gerechnet. Aber was wäre dann mit denen geworden, deren Arbeitskraft keiner gebraucht hat? Sie hätten um Almosen betteln müssen. Und irgendwann hätten sie womöglich mit Gewalt eine Chance gesucht für sich und ihre Familien.

 

Ich glaube, deshalb fragt jener Weinbergbesitzer nicht danach, was sich rechnet, sondern danach, was gerecht ist. Und gerecht ist für ihn, wenn alle genug zum Leben haben.

 

Das ist Gerechtigkeit, wie Gott sie haben will, erzählt Jesus. Und er erzählt gleich noch dazu, wie die Arbeiter mit dieser Regelung gar nicht einverstanden sind. Die mehr gearbeitet haben, protestieren gegen diese Art von Gerechtigkeit. Ich kann mir nicht helfen – mir kommt das bekannt vor.
Ich glaube, Geschichten wie diese sind eine Hilfe zur Orientierung. Wir haben die Wahl, woran wir uns orientieren wollen: An der Gerechtigkeit, die den Starken und Leistungsfähigen Recht gibt. Oder an der Gerechtigkeit, die Gott uns empfiehlt - damit alle leben können.

 

Natürlich: das ist kein Stück aus einem Lehrbuch der Volkswirtschaft. Aber solche Geschichten in Erinnerung rufen und fragen: wäre das nicht ein lohnendes Ziel, auf das hin die Verantwortlichen arbeiten müssten - darum geht es.

 

Allerdings: Das bleiben Sonntagsreden, wenn wir nicht bei uns selber anfangen und bereit sind, diese Form der Gerechtigkeit zu akzeptieren. ---
Die Frage gerechter Verhältnisse ist ja nicht nur eine Frage der Politik. Die Politiker reagieren auf die Stimmung, wie sie ihnen aus der Bevölkerung entgegen kommt. Deshalb sind die Einzelnen gefragt, Sie und ich. Wenn Verhältnisse geändert werden sollen, dann müssen wir da anfangen, wo es am aussichtsreichsten ist: bei uns selbst. Und dann auch laut und vernehmbar sagen, wie wir uns eine gute Gesellschaftsordnung vorstellen. Wenn wir uns nicht zu Wort melden, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn alles beim Alten bleibt.

 

Verantwortliche Politiker ihrerseits brauchen eine eigene starke Orientierung. In Jesu Geschichte  ist der Weinbergbesitzer gerade nicht dem Protest der Neidischen gefolgt, die den anderen ihr Auskommen nicht gönnen. Wahrscheinlich hat er gespürt: Wenn nur die  genug haben , die das Glück hatten, gleich Arbeit zu finden – dann gerät das Zusammenleben in Schieflage. Dann bleiben Menschen auf der Strecke.

 

Ich finde, genau deshalb  ist Orientierung so wichtig. Wir brauchen Gelegenheiten, wo wir unter anderem auf die Geschichten des Evangeliums hören können und gemeinsam überlegen, wohin es gehen soll. Damit Frieden bleibt in unserer Welt. Denn ich glaube, diese Geschichten helfen, nach Zielen zu fragen.

 

Und wenn man ein lohnendes Ziel vor Augen hat – dann kann man sich auf den Weg machen. Motiviert und mit Freude am Unterwegssein.

11.08.2016
Pfarrerin Lucie Panzer