Du bist da, wo Menschen sind

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Du bist da, wo Menschen sind
23.11.2019 - 10:00
26.08.2020
Jan Schäfer
Über die Sendung:
Die Öffnung für neues kann für die Kirche Zukunft ermöglichen

 

 

Eine fremde Gemeinde

„Können Sie mich im Gottesdienst vertreten?“ Die Frage kommt Monate im Voraus. Den Kollegen, der mich am Telefon fragt, kenne ich kaum. Über die Gemeinde im Frankfurter Norden weiß ich so gut wie nichts. Also sage ich zu.

Im Internet mache ich mich schlau. Eine Personalkirchengemeinde, knapp 300 Mitglieder. Die Gemeindeglieder leben nicht rund um die Kirche oder im Stadtteil, sondern kreuz und quer über das Stadtgebiet verteilt. Die französisch-reformierte Gemeinde wurde 1554 von französisch sprechenden Flüchtlingen aus der Wallonie gegründet. Wegen ihres evangelischen Glaubens wurden sie verfolgt und in Frankfurt aufgenommen. Auch heute noch leben diese französischen Wurzeln fort. Einmal im Monat gibt es einen Gottesdienst in französischer Sprache. Ich denke sofort an die Mitarbeiter*innen der EZB und der multinationalen Firmen im Rhein-Main-Gebiet, gehobenes Bürgertum..

Die Begegnung

Freundlich werde ich in der Kirche begrüßt. Da ich mich nicht auskenne, bin ich früh vor Ort. Ein Mitglied des Vorstandes – der hier Konsistorium heißt – zeigt mir alles, was ich für den Gottesdienst brauche. Sakristei, Pult, Mikrofon und Licht. Der angekündigte Organist entpuppt sich als Violinistin. Nach und nach kommen die Menschen. Eine typische bürgerliche evangelische Sonntagsgemeinde, wie erwartet.

Mehr Frauen als Männer, die Besucher*innen sind eher älter als jünger, die meisten sicherlich Rentner. In kurzen Gesprächen wird deutlich, dass viele auf unterschiedlichen Ebenen in der Gemeinde und der evangelischen Kirche aktiv mitarbeiten. Spontan schweifen meine Gedanken in Richtung Zukunft. Eine Gemeinde mit kaum jüngeren Menschen und wenigen Kindern oder Jugendlichen – was wird hier werden?

Und plötzlich geht die Tür auf

Das Bild ändert sich ein wenig. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes sitzt da auf einmal eine Familie. Eltern und Kinder. Ganz hinten in der Kirche nehmen sie Platz. Sie scheinen gar nicht ins Bild dieser bürgerlichen und weißen Gemeinde zu passen. Denn ihre Hautfarbe ist dunkel. Ich freue mich, dass der Altersdurchschnitt der Besucher deutlich sinkt.

Da ist Leben in der Bude

Der Gottesdienst beginnt und auf einmal ist da richtig Leben in der Bude. Immer mehr Menschen finden sich ein. Die Kirchentür geht auf und zu und wieder auf und wieder zu. Das ganze wiederholt sich und scheint kein Ende zu nehmen. Familien mit Kindern kommen, mit großen und kleinen. Und, alle sind schwarz, viele scheinen sich zu kennen. Das gegenseitige Zunicken und Zuwinken macht die Runde. Die Lieder werden wundervoll intoniert, voll und kräftig klingt das. Ich bin sehr überrascht, denn all das habe ich nicht erwartet. Und ich freue mich und muss mein Bild, das ich am Anfang hatte, übermalen.

Des Rätsels wunderbare Lösung

Nach dem Gottesdienst komme ich mit den Besuchern schnell ins Gespräch. Und klar ist: die verbindende Brücke zwischen alt und jung, zwischen schwarz und weiß ist die französische Sprache. Das Anknüpfen an die französisch-sprachige Tradition. Die Familien haben Wurzeln im Kamerun. Einige sind in Deutschland geboren, andere leben kürzere Zeit im Land. Einige leben in Frankfurt, andere im Umland. Im Gottesdienst am Sonntagmorgen verbindet sich für sie das spirituelle Bedürfnis mit der Freude Familie und Freunde zu treffen. Ich erfahre einiges über die kamerunische Community, über unterschiedliche Traditionen im Gottesdienst, erlebe eine interessante Diskussion über die Predigt und herzliche Lacher.

Die Mischung macht’s

Die Gemeinschaft, die ich so unerwartet erleben konnte, ist sicherlich nicht das Bild der Zukunft aller evangelischer Gemeinden. Die französisch-reformierte Gemeinde hat sich geöffnet. Ich erlebe eine wunderbare Momentaufnahme, wie sich Kirche und Gemeinde verändert. Und mehr: wie sie wächst und lebendig aufblüht, wenn Gottes guter Geist weht.

 

26.08.2020
Jan Schäfer