„Gott würfelt nicht.“ Oder doch?

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Gemeinfrei via unsplash / Jonathan Greenaway

„Gott würfelt nicht.“ Oder doch?
05.11.2022 - 10:00
04.11.2022
Gerhard Richter

Mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart zeichnet sich schnell ein düsteres Bild unserer Zukunft ab. Es sei denn, wir können Vertrauen setzen in die unendlichen Möglichkeiten, die Gott uns in dieser Welt bietet – auch gegen den Augenschein.


Die Testfrage

Es ist mitunter kurios, in welchen Situationen Menschen die großen Fragen der Weltgeschichte und des Lebens aufs Tablett bringen. Zum Beispiel vor ein paar Tagen unser Nachbar. Zum Verständnis: wir sind noch sehr neu zugezogen in einem kleinen Dorf. Als ich ahnungslos bei unserem Nachbarn frische Eier kaufen wollte, kam ganz nebenbei die Testfrage: „Sie sind doch von der Kirche? Ich habe da ja meine eigene Meinung. Ich halte es eher mit Einstein. Der hat gesagt: Gott würfelt nicht!“

In unserem Thüringer Umfeld ist eine atheistische oder jedenfalls agnostische Weltanschauung durchaus Standard. Für Gott gab es in der DDR-geprägten Bildung keinen Platz. Einstein soll mit diesem kantigen Satz einen prominenten Zeugen dafür abgeben, dass alles in unserer Welt nach dem Prinzip „Ursache und Wirkung“ erklärbar sei.
Nun trifft mein Nachbar auf einen, der sich aus purem Interesse regelmäßig durch verschiedene Wissenschaftsmagazine schmökert. Zwischen naturwissenschaftlichem Fortschritt und Gottvertrauen gab es für mich nie einen Widerspruch, denn   wissenschaftliche Erkenntnis und biblische Weisheit betreffen unterschiedliche Bereiche unseres Lebens.

Zu wenig Licht

Aber wo der Satz „Gott würfelt nicht.“ pessimistisch aufgefasst wird, macht er uns Menschen zu ohnmächtigen Beobachtern. Diese Sicht auf die Welt mit den dramatischen Herausforderungen unserer Zeit malt die Zukunft düster bis schwarz. Klimakrise und Energiewende, Krieg und Flüchtlingsbewegungen – alles wirkt berechenbar negativ auf die Hoffnung für unseren Heimatplaneten, für diese menschliche Population und natürlich für mein eigenes Leben.
Mit Leichtigkeit polarisieren Angstmacher selbst gut sozialisierte Gemeinschaften zum Beispiel der freiwilligen Feuerwehr oder des Posaunenchores bis hinein in die Familien.
Sie haben ein leichtes Spiel, denn die Taschenlampe, mit der sie die Wege erleuchten, reicht nicht sehr weit - bis zum nächsten Supermarktregal oder zur nächsten Tankstelle. Bestenfalls wirft sie noch ein Licht auf die Hilfsbedürftigkeit anderer, etwa der Menschen, die unter den Folgen des Krieges in der Ukraine leiden. Oder auf die der Handwerker, die massiv in ihrer Existenz bedroht sind. Immerhin. Nach vorn blickend aber wird das Licht der Angstmacherlampe von finsterer Weite verschluckt. Und die angeblichen Beleuchter stellen sich uns häufig in den Weg, wütend oft, Angst schürend, vor allem aber hoffnungslos.

Vertrauen heißt aufschauen

Gott musste nicht erfunden werden, um die Welt zu erklären. Sondern das Vertrauen auf seine Gegenwart tröstet uns, ermutigt und öffnet Wege zur Versöhnung.
Auffällig, dass gerade diese Dinge heute so vielen Menschen zu fehlen scheinen. Auf Montagsdemos machen sie ihrem Unmut Luft. Suchen die besorgten Handwerker nicht Mutmacher? Brauchen die ukrainischen und russischen Mütter nicht Trost? Schreien nicht so viele Konflikte in unserer Gesellschaft nach Versöhnung?

Ein tiefes Gottvertrauen ist sicher nicht die einzige Antwort auf all das. Aber es ermöglicht eine andere Blickrichtung auf unseren Lebensweg und auf die Welt. Wir können aufschauen, statt nur auf die wenigen Meter vor uns zu starren. Am Himmel geben die Sterne schon seit tausenden von Jahren den Menschen eine Orientierung, verlässlich und erhaben über den irdischen Wandel. Machtvoll strahlen sie, geladen mit Energien, die uns unvorstellbar sind.
Und dahinter – oder darin – oder als Grund von allem – Gott.

Es ist ja bekanntlich zu eng gedacht, Gott in irgendeiner Form festzulegen. Du sollst dir kein Bild von Gott machen, heißt es. Darum vertraue ich unbeirrt auf seine unerschöpflichen Möglichkeiten. 
Einstein kannte seinen genialen Schüler Stephen Hawking nicht. Der widerspricht ihm nämlich: „Gott würfelt gewaltig! Allerdings dort, wo wir es nicht sehen können.“1 Ich könnte mir sogar vorstellen, er würfelt gerade jetzt hinter dem nächsten schwarzen Loch um gute Aussichten für diese Welt.

 

(1) Sinngemäß in: Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen, Klett-Cotta, 2019, S. 86 und S. 118/119;
und: Uni Cambridge, Debatte über Schwarze Löcher, 1994: «Einstein lag falsch, als er sagte ‹Gott würfelt nicht›. (...) Er hat die Würfel manchmal nur dorthin geworfen, wo wir sie nicht sehen.» (https://www.watson.ch/wissen/international/477411231-einstein-lag-falsch-als-er-sagte-gott-wuerfelt-nicht-7-zitate-von-stephen-hawking).

04.11.2022
Gerhard Richter