bios (bible)

Wort zum Tage
bios (bible)
15.08.2017 - 06:20
15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen

Wie von Geisterhand bewegt sich der Roboterarm über die Papierbahn. In der Roboterhand einen Füllfederhalter mit automatischer Tintenzufuhr. In aller Maschinenruhe setzt sie ein Schriftzeichen ans andere: Ansetzen, Absetzen, Ansetzen, Absetzen. Kaum ein Geräusch. Nur das Surren der winzigen Motoren. Der maschinelle Aufbau wirkt ein wenig wie eine Produktionsstraße bei Volkswagen oder Mercedes. Nur dass hier keine Autoteile entstehen, sondern Texte: „Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, (...) geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes (...)“. – Der Zweite Korintherbrief des Apostels Paulus in Schwabacher Lettern.

 

„robotlab“ heißt das Karlsruher Künstlerkollektiv, das die Maschine im Rahmen der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ im ehemaligen Wittenberger Frauengefängnis aufgestellt hat. Binnen 9 Monaten soll ihr Schreibroboter die gesamte Heilige Schrift, alle 66 Bücher, zu Papier bringen. Tag und Nacht. Stunde für Stunde. – Der ganze Vorgang hat etwas Mönchisches: Vor der Erfindung des Buchdrucks waren es Mönche, die in sogenannten „Skriptorien“, die biblischen Schriften in jahrelanger Kleinarbeit abschrieben. Später übernahmen die Druckmaschinen, mit denen dank Gutenberg Martin Luther seine Schriften in beweglichen Lettern in ganz Deutschland verbreiten konnte. Heute sind es Computer, die spielend leicht die Aufgabe der Vervielfältigung übernehmen.

 

In Wittenberg kommen die Techniken zusammen: Denn hier druckt der Computer handschriftlich. Die Aura des Menschlichen und die Automatik des Computers, die Sorgfalt des mittelalterlichen Kopisten und die maschinelle Präzision gehen in einem. „Bios“ – „Basic Input Output System“ – haben die Künstler ihre Maschine getauft – und verweisen damit auf jene Computergrundschrift, die Software und Hardware, Geist und Maschine, miteinander verbindet. – „Verbalinspiration“ hieß einmal die wortgenaue Übertragung des göttlichen Wortes in die Schriftzeichen der Heiligen Schrift, verbürgt durch die Treue des göttlichen Schreibers. Hier, im Wittenberger Gefängnis, verbürgt die Maschine die wortgetreue Übertragung. Sie überbietet sogar noch die Genauigkeit des inspirierten Schreibers – und unterbietet damit die Kreativität der menschlichen Fehlbarkeit. Der Apostel Paulus bzw. „Bios“ schreiben: „Der Buchstabe tötet. Aber der Geist macht lebendig!“ Der Zweite Brief an die Korinther in Schwabacher Lettern.

15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen