Coyote

Wort zum Tage
Coyote
23.06.2018 - 06:20
07.03.2018
Hannes Langbein
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„I like America and America likes me.“

 

So überschrieb im Jahr 1974 der deutsche Aktionskünstler Joseph Beuys seine viertägige Aktion in der Galerie René Block in New York City: Beuys war von Düsseldorf aus nach New York geflogen, hatte sich noch am Flughafen in Filz einwickeln und in einem Krankenwagen nach Manhattan fahren lassen, um – ausgerüstet mit einem Hirtenstab, einem Stapel „Wall Street Journals“ und einer Triangel – mehrere Tage in einem Galerieraum mit einem lebendigen Coyoten zu verbringen.

 

Künstler und Coyote mussten sich erst aneinander gewöhnen: Anfangs scheute das Tier die in Filz gewickelte Gestalt, die mit aufgerichtetem Hirtenstab wie ein Wesen von einem anderen Stern wirkte. Das Tier pirschte sich heran, umkreiste die Filzgestalt, berührte kurz ihren Saum und suchte wieder die Distanz. Mit der Zeit entstand so etwas wie eine Kommunikation: Das Tier zog und zerrte am Filzumhang, die Gestalt bäumte sich auf und beugte sich nieder. Irgendwann entrollte sie sich und kam ihrem Gegenüber näher. Mit der Zeit wirkten die beiden wie zwei Gefährten, die einander respektierten und ein Stück Wegstrecke gemeinsam zurückgelegt hatten.

 

Eigentlich gehört der Coyote zu den Wildtieren Nordamerikas. Die etwas größer geratene Hundeart, die dem Wolf ähnelt, ist in den spärlich besiedelten Landesteilen zuhause – und in den Schöpfungsmythen ihrer Ureinwohner. In den Städten Amerikas versursacht der Coyote – wie in Deutschland der in ländlichen Regionen des Landes zurückgekehrte Wolf – Ängste und teils heftige Abwehrreaktionen. Dass das Tier nun in einer Galerie mitten in Manhattan auftauchte und dass sich ein Düsseldorfer Künstler, der sich ebenfalls in diesem Amerika nicht heimisch fühlte, mit ihm in einen Raum sperren ließ, das gehörte zur besonderen Spannkraft der Aktion. Sie brachte nicht nur etwas über das Verhältnis von Europa und Amerika, sondern auch etwas über das Verhältnis von Mensch und Tier in die Erfahrung.

 

„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für seine Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe“, heißt es im Johannesevangelium. Joseph Beuys mit dem Hirtenstab, der sich zeitlebens als Heiler und Christusfigur sah, stellte sich dem Coyoten und nahm Kontakt mit ihm auf. Als sich die beiden am Ende der Aktion trennten, blieb ein Hauch von Abschiedswehmut – und das Bild einer unwahrscheinlichen Annäherung. Überschrieben mit dem unwahrscheinlichen Satz:“I like America and America likes me.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.03.2018
Hannes Langbein