Das stört keinen großen Geist

Wort zum Tage
Das stört keinen großen Geist
17.07.2018 - 06:20
20.06.2018
Kathrin Oxen
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„Ich bin ein schöner und grundgescheiter und gerade richtig dicker Mann in meinen besten Jahren. Und der beste Karlsson der Welt in jeder Weise!“ Mit seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein fliegt Karlsson vom Dach mir mitten ins Herz. In der Welt von Astrid Lindgren ist er so etwas wie das männliche Gegenstück zu Pippi Langstrumpf. Genauso unkonventionell, genau so anarchisch und das Gegenteil des lieben und braven Jungen Lillebror. Der ist zu Beginn ihrer Freundschaft häufig leicht überfordert von seinem neuen Freund. Karlsson kann fliegen, kommt angebrummt, wann es ihm passt, ist verfressen, wehleidig, unverblümt egoistisch und hinterlässt Chaos in Lillebrors wohlgeordneter Kinderwelt .

 

Ich habe als Kind beim Lesen immer ein bisschen mit Lillebror gelitten. Artig und vernünftig sein, das stand auch bei mir zuhause hoch im Kurs. Die im Buch so eindrücklich beschriebene, unfassbare Unordnung in Karlssons Haus habe ich mir mit einer Mischung aus Entzücken und Entsetzen vorgestellt. Was meine Mutter dazu wohl sagen würde! Aber: „Das stört keinen großen Geist“ ist die einzige Antwort, die Lillebror auf seine vorsichtigen geäußerten Einwände hin bekommt.

 

„Das stört keinen großen Geist“ – ein Satz, der all die Artigen und Vernünftigen irgendwie kleingeistig erscheinen lässt. Im schwedischen Original heißt es an dieser Stelle „Das ist ein weltlich Ding“. Und mit diesem Satz fliegt Karlsson vom Dach praktisch direkt nach Wittenberg. Das mit dem „weltlich Ding“ hat Martin Luther nämlich 1530 in einer Schrift über die Ehe gesagt. Da muss man auch erst einmal tief Luft holen – wenn man daran denkt, welch ein Skandal die Ehe zwischen Martin Luther und Katharina von Bora gewesen ist und was das Ende des Zölibats für die evangelische Kirche bis heute bedeutet.

 

Alles umstürzen und dann auch noch sagen, es sei gar nicht so wichtig – ist das ein bisschen Luther in Karlsson vom Dach? Oder umgekehrt, Karlsson vom Dach in Martin Luther? Ich finde, in beiden ist das, was man auf theologisch Rechtfertigung nennt: Das unerschütterliche Selbstbewusstsein, „schön, grundgescheit und gerade richtig dick“ zu sein. Nicht aus eigener Überzeugung, sondern weil ich überzeugt bin, dass Gott mich liebt. Wenn so jemand in wohlgeordnete Verhältnisse hineinbrummt, stiftet das natürlich oft erhebliche Unruhe. Die Ängstlichen wittern gleich Anarchie. Das war auch zur Zeit der Reformation mit Martin Luther so. Aber trotzdem: „schön und grundgescheit und gerade richtig dick“ – wäre ich davon so überzeugt wie Karlsson, dann könnte ich auch besser fliegen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Kathrin Oxen