Der Junge mit dem Stofftier

Wort zum Tage
Der Junge mit dem Stofftier
26.10.2017 - 06:20
18.10.2017
Pfarrer Michael Becker

Folgendes geschieht vor einigen Wochen in Amerika: Ein Mann läuft auf der Straße. Von der Arbeit geht er nach Hause. Am Straßenrand sieht er einen Jungen sitzen, etwa sieben Jahre alt. Der hat ein Stofftier in der Hand und wirkt etwas trostlos. Der Mann spricht den Jungen an und fragt ihn, was los ist. Der Junge sagt, dass er Hunger hat. Er möchte sein Stofftier gerne eintauschen gegen Geld und etwas zu essen. Der Mann nimmt den Jungen mit. Sie gehen zu einem Imbiss. Dort isst sich der Junge satt. Sein Stofftier darf er behalten. Dann ruft der Mann beim Jugendamt an. Die nehmen die Dinge jetzt in die Hand. Es sind schlimme Dinge. Der Junge aber ist erst einmal satt und bekommt jetzt ein Bett für die Nacht.

 

Solche Geschichten gibt es. Bestimmt mehrmals am Tag. Längst nicht alle stehen in der Zeitung. Die Welt vergisst schnell. Das Gute wird oft noch schneller vergessen als das Böse. Das Gute gilt als selbstverständlich. Was es nicht ist. Darum erzähle ich das weiter. Die Geschichte vom Jungen und dem Fremden bedeutet mir etwas. Ich erkenne darin einen kleinen Moment des Erbarmens. Vielleicht denkt sich der Mann: du darfst jetzt nicht weitergehen. Du musst den Jungen fragen. Einfach nur. Kann sein, dass vorher schon andere vorbeigelaufen sind. In einer Stadt sitzen ja viele am Straßenrand und wollen dies oder das. Manchmal sind sie laut, pöbeln einen an oder sind betrunken. Der Junge aber sitzt nur da. Mit seinem Stofftier im Arm. Manche sehen nicht und gehen vorbei. Den einen Mann berührt das. Mehr ist nicht.

 

Doch. Wenn ich genau hinsehe, ist noch mehr. Etwas Großes. Die Welt kennt kein Erbarmen. Mit nichts. In Syrien nicht und in der Türkei auch nicht. Nur der Mensch kennt Erbarmen. Manchmal. Er kann vorübergehen und denken: Was geht mich das an. Oder er bleibt stehen und beugt sich zu dem Jungen. Empfindet etwas. Ist angerührt von schmutzigen Kleidern oder einem traurigen Gesicht. Vielleicht auch vom zerschlissenen Stofftier. Und spürt das, was der Welt fremd ist: den kleinen Moment aus Erbarmen. Den gibt es, weil es Gott gibt. Der uns bittet: Geht nicht vorüber. Seht bitte hin.

18.10.2017
Pfarrer Michael Becker