Die Vielfache

Wort zum Tage
Die Vielfache
05.02.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen

„Ich glaubte, es lohnte nicht zu leben, wenn ich so bliebe, wie ich wäre.“ Dieser Satz aus Platons Symposion könnte als Motto über dem Leben von Emmy Hennings stehen. Sie ist die Ehefrau Hugo Balls gewesen, des Dichters und Mitbegründers der Dada-Bewegung, aber sie war noch viel mehr. In ihren Gedichten spricht sie von ihren „Vielfachheiten“. Tatsächlich hat die Tochter eines Flensburger Werftarbeiters in ihrem Leben unendlich viele weibliche Rollen ausprobiert. Emmy Hennings war Dienstmädchen, Ehefrau, Mutter, Wanderschauspielerin, Sängerin, Animierdame, Gelegenheitsprostituierte, Muse, Geliebte, Freundin.

 

Auf den Zeichnungen ihrer Künstlerfreunde wirkt sie mit ihrem Pagenkopf und den dunkel umränderten Augen wie eine Ikone der wilden, lebenshungrigen Jahre vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Wo die Männer in dieser Zeit ganz in der Welt ihrer Ideen leben können, muss Emmy ihren Körper einsetzen, als künstlerisches Ausdrucksmittel und bis an die Grenze der Selbstzerstörung durch Drogen und Prostitution.

 

„Dort, im Cafe, habe ich ein Butterbrot bekommen und eine Tasse Kaffee, und dafür legte ich mein irrsinniges Zehnmarkstück auf den Marmortisch. Für dieses Zehnmarkstück wurde ich selbst auf den Tisch gelegt, es wurde mit mir bezahlt…“ schreibt sie im Rückblick auf diese Zeit.

 

Aber auch dieses Leben war irgendwann nicht mehr ihres; sie blieb nicht die, die sie war. Nach der Begegnung mit Hugo Ball und der Emigration in die Schweiz führte das Paar ein abgeschiedenes Leben in äußerlicher Armut im idyllischen Tessin. Beide verband die Hinwendung zu einer mystischen Form des Katholizismus.

 

Emmy Hennings erinnert mich sehr an eine andere große Liebende, die wir aus der Bibel kennen. Sie wird auch die „große Sünderin“ genannt. Von ihr wird erzählt, wie sie einmal zu Jesus kommt, sich ihm zu Füßen wirft, weint und seine Füße mit ihrem Haar trocknet. Dann zerbricht sie ein Fläschchen unermesslich teuren Öls, um ihn damit zu salben. Dieses Öl hat sie mit sich bezahlt, wie Emmy Hennings den Kaffee und das Butterbrot im Cafe.

 

Sie ist zu Jesus gekommen, weil sie gehört hat, dass er Menschen verwandeln kann. Auch sie glaubt, dass es sich nicht lohnt zu leben, wenn sie bliebe, wie sie ist. Jesus begegnet dieser Frau mit Liebe. Er beschützt sie vor den hämischen Kommentaren der Männer am Tisch. „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“, sagt Jesus zu ihr. Ein Satz auch für Emmy Hennings, finde ich.

11.01.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen