Ein sternenbestickter Mantel

Wort zum Tage

Gemeinfrei via pixabay/ Nikiko

Ein sternenbestickter Mantel
mit Christina-Maria Bammel
15.12.2021 - 06:20
15.09.2021
Christina-Maria Bammel
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Die Adventszeit hat stille Seiten. Für manche leider unfreiwillig.  Ich denke an viele still gestellte Stimmen. Sie haben für Freiheit und das Ende einer Diktatur in Minsk und anderen Orten Weißrusslands friedlich demonstriert - nicht erst seit dem vorletzten Sommer. Sie sind in Gefängnissen gelandet. Unter Dauerprügel, Freiheitsentzug und Folter. Davon betroffen sind viele Frauen, unter ihnen Marfa Rabkova. Bis 2020 hat sie mit Freiwilligen in einem Menschenrechtszentrum gearbeitet. Eine Straftat hat sie nicht begangen, sondern Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Noch immer sitzt sie in Untersuchungshaft und erhält keine medizinische Hilfe, obwohl sie ernstlich erkrankt ist. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Wie kann mein Jahr zu Ende gehen, mit Fest und Freude, und zugleich werden Menschen um Freiheit, Gesundheit und Leben gebracht? Eine andere Frau, die sich ähnlich wie Marfa Rabkova nichts hatte zuschulden kommen lassen und dennoch im Gefängnis saß, war Rosa Luxemburg. An ihre Freundin Sophie Liebknecht schrieb sie Briefe. Sie klingen nicht danach, als ob sie mehr als hundert Jahre alt wären. Sie erzählen von einem anderen Advent. Im Dezember 1917 schreibt Rosa: „Da liege ich still allein, gewickelt in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langeweile, Unfreiheit, des Winters – und dabei klopft mein Herz von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude, wie wenn ich im strahlenden Sonnenschein über eine blühende Wiese gehen würde. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben zu, wie wenn ich irgendein zauberhaftes Geheimnis wüsste, das alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück wandelt. Und dabei suche ich selbst nach einem Grund zu dieser Freude, finde nichts und muss wieder lächeln über mich selbst. Ich glaube, das Geheimnis ist nichts anderes, als das Leben selbst; die tiefe nächtliche Finsternis ist so schön und weich wie Samt. In solchen Augenblicken denke ich an Sie… Ich möchte Ihnen nur noch dazu meine unerschöpfliche innere Heiterkeit geben, damit ich um Sie ruhig bin, dass Sie in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen, der Sie vor allem Kleinen, Trivialen und Beängstigenden schützt.“ Solche Adventssätze konnte Rosa Luxemburg aus einem dunklen Gefängnisloch herausschreiben. Eine Zuversichtsnachricht durch die Nacht. Ich wünsche Marfa Rabkova und anderen Frauen, dass sie einen sternenbestickten Mantel in ihren Zellen finden, der sie vor all dem Beängstigenden schützt. Und ich bitte Gott um geöffnete Gefängnistüren und Freiheit für sie! Dass es wirklich ein anderer Advent wird.

Es gilt das gesprochene Wort.

15.09.2021
Christina-Maria Bammel