Eine Nacht darüber geschlafen

Wort zum Tage
Eine Nacht darüber geschlafen
18.01.2017 - 06:23
16.01.2017
Pastor Diederich Lüken

Es gab Zeiten, in denen die Dunkelheit bedrohlicher war als heutzutage, zumal in einer schneelosen Winternacht. Vor der Erfindung der Straßenbeleuchtung, der hell erleuchteten Schaufenster und der Nachttischlampe war die Nacht schwarz, vor allem dann, wenn Mond und Sterne von Wolken verhangen waren. Dann herrschte eine so tiefe Dunkelheit, wie man sie sich heute kaum mehr vorstellen kann. Das ist wohl der Grund dafür, dass in diesen Zeiten die Nacht oft Angst auslöste: Angst vor dem Unbekannten und dem Undurchschaubaren. Dann kam noch der Schlaf, der kaum verstanden wurde und manchmal „der kleine Tod“ genannt oder auch als Bruder des Todes angesehen wurde. Wie war man doch ausgeliefert, wenn man scheinbar bewusstlos und jedenfalls wehrlos dalag! Wie ohnmächtig war man beim Zugriff dunkler Mächte! Das konnten reißende Tiere sein, Menschen mit dunklen Absichten, oder aber auch teuflische Anfechtungen. Noch Martin Luther betete in seinem Abendsegen: „Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“

 

Man fühlte sich nachts der Hölle näher als dem Himmel. Wenn dann am Morgen die erste Dämmerung aufschien, kam das einer Erlösung gleich. Das Dunkel war überwunden, die Hölle schloss sich wieder, der Himmel öffnete sich mit seinem Glanz. Das Licht hatte gesiegt. So dichtete Philipp von Zesen 1641 folgende Verse: „Die güldene Sonne bringt Freuden und Wonne, die Finsternis weicht. Der Morgen sich zeiget, die Röte aufsteiget, der Monde verbleicht. Nun sollen wir loben den Höchsten dort oben, dass er uns die Nacht hat wollen behüten vor Schrecken und Wüten der höllischen Macht.“ Für uns Heutige sind Vorstellungen von Hölle und Teufel weithin dem modernen Weltbild gewichen – und den Errungenschaften der Elektrizität. Die Nacht hat mit dunklen Mächten nichts mehr zu tun, sondern ist einfach ein Naturphänomen. Außerdem wissen wir heute, dass der Schlaf in keiner Weise mit dem Tod in Verbindung steht, im Gegenteil: Im Schlaf erneuert sich das Leben. Die Freude über das Anbrechen eines neuen Tages aber kann dieselbe sein. Es ist gut, am Morgen zu spüren: Es ist nichts Schlimmes passiert, es ist alles noch so wie am Abend zuvor. Vielleicht ist manches sogar besser als vorher, weil man „eine Nacht darüber geschlafen“ hat. Auch kleine gesundheitliche Probleme haben sich oft über Nacht gebessert. So ist der neue Morgen in vielfältiger Hinsicht ein Geschenk. Deshalb kann man das Lied Philipp Zesens mit Freuden weiterlesen: „Kommt, lasset uns singen, die Stimmen erschwingen, zu danken dem Herrn.“

16.01.2017
Pastor Diederich Lüken