Gott auf der Anklagebank

Wort zum Tage
Gott auf der Anklagebank
04.08.2018 - 06:20
20.06.2018
Rainer Stuhlmann
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„Nichts kann mich aus Gottes Hand reißen.“ Das ist ein Glaubensbekenntnis, kurz und knapp. Keine komplizierte Dogmatik. Ein einfaches und universales Bekenntnis. In der jüdischen und christlichen Bibel, im Koran und anderen Heiligen Schriften finden wir es. „Nichts kann mich aus Gottes Hand reißen. Komme, was da wolle! Nichts kann mich von der Liebe und Treue meines Schöpfers trennen. Ich kann nicht tiefer fallen, als in die ausgebreitete Hand Gottes.“ Eine wunderbare Metapher. Ausdruck eines elementaren Vertrauens, hilfreich und lebensnotwendig.

 

„Gott hat mich in der Hand“ – das kann aber auch Ausdruck sein von ohnmächtiger Wut. Das kann der Aufschrei eines Menschen sein, dem das Leben übel mitgespielt hat, der brutale Erfahrungen machen musste, die ihm nicht länger erlauben, an Gottes Liebe und Treue zu glauben. Für den sich Gottes freundliches Angesicht in eine boshafte Fratze gewandelt hat.

 

Hiob heißt ein solcher Mensch in der Bibel. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen trifft ihn. Seine Familie wird ausgelöscht. Er wird mit einer schmerzvollen Krankheit gequält, die ihn nicht leben und nicht sterben lässt. Sein Gottvertrauen hat sich zum Protest gewandelt. Er kämpft gegen Gott, macht Gott Vorwürfe und setzt ihn auf die Anklagebank.

 

Und dabei setzt er sich mit seinen frommen Freunden auseinander, die bei ihren Beileidsbesuchen alles falsch machen, was man nur falsch machen kann, wenn man einen Menschen trösten will. Statt Hiob zur Seite zu stehen und ihn in seinem Protest gegen Gott zu stärken, ergreifen sie für Gott Partei und verteidigen ihn. „Füge dich!“ sagen sie. „Gott will dich prüfen, strafen, erziehen. Er meint es gut mit dir.“ Hiob aber wirft sie raus. „Bleibt mir gestohlen mit eurem Gott! Es ist ein Gott in eurer Faust. Nichts als eine Projektion eurer Wünsche. Nicht wir haben Gott in der Hand, sondern er hat uns in der Hand.“ „In Gottes Hand ist die Seele von allem, was lebt“ (Hiob 12,10), schleudert er ihnen entgegen.

 

Gott ist souverän. Und darum bleibt Hiob angesichts des Leids nichts anderes als Gott zu verklagen. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit offen zu halten statt sie mit frommen Antworten zu erledigen. Vertrauen in Gott wandelt sich angesichts des Leides nicht in fromme Ergebung, sondern in flammenden Protest. Gott und das Böse in der Welt zusammen zu denken – das geht nur so, dass Gott in Frage gestellt wird. In der offenen Frage nach Gottes Gerechtigkeit erweist sich das wahre Gottvertrauen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Rainer Stuhlmann