Gottessehnsucht

Wort zum Tage
Gottessehnsucht
17.06.2020 - 06:20
30.01.2020
Evamaria Bohle
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Ich bin nicht religiös, ich habe Gottessehnsucht. Religiös klingt viel zu distanziert. Religiös, infektiös, strapaziös. Ja, ich weiß: Latein. Religio. Rückgebunden. Wie ein Hund an der Leine. Sitz, Fuß, Platz. Ich mag das nicht. Mein Gott ist kein Frauchen. Sie pfeift nicht nach mir. Ich gehe freiwillig an seiner Seite, kenne seine Stimme, mag, was ich höre. Diese Frequenzen von Glaube, Liebe, Hoffnung. Dieses leise Rauschen, das in jedem Menschen atmet, nenne ich Gott. G-o-t-t. Die Ewige mit den vielen Namen. Jede und jeder kann sie hören: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Jeder, der will, aber niemand wird gezwungen. Gott liebt freie Menschen.

Wer will, kann dieses Lauschen lernen, glaube ich. Sich öffnen für die unscharfe Gottessehnsucht. Ihr nachgeben. Die leisen Töne finden, Vertrauen üben und dann schauen, wie sich das Leben ändert. Ob es sich ändert. Der Rest kommt dann von alleine. Gott ist da. Verborgen gegenwärtig. Auch im 21. Jahrhundert. Das widerspricht sich nicht.

Ist das religiös? Mir fehlen da mitunter die Worte. Die großen allemal. Dann schweige ich mich aus. Für mich ist das Wort Gott eine Tür nach Hause, andere sehen nur eine Wand aus vier Buchstaben. Und die anderen alten Begriffe - Erlösung, Gnade, Sünde – wirken wie Kostüme aus einem Historienfilm. Hübsch anzusehen, aber alltagsuntauglich. Ich verstehe das Befremden.

Vor einigen Jahren bin ich deswegen aus der Kirche ausgetreten, in die ich hineingeboren wurde. Für die Menschheit ein kleiner Schritt, für mich nicht. Fast 50 Jahre nach meiner Taufe wollte ich spirituell ins Offene. Ohne Sprachkostüme, kirchengeschichtlichen Ballast und dogmatische Denkgrenzen. Das Weite suchen und finden. Zwei Jahre später kehrte ich zurück. Mit Wind in der Seele und Heimweh im Herzen.

Nach den ozeanischen Geschichten der Bibel, nach den alten Kirchenräumen mit ihrer durchbeteten Aura, nach den vertrauten Liedern und Gebräuchen. Nach der Weggemeinschaft der anderen Gottessehnsüchtigen, zu der ich nun mal gehöre, nach Vater, Sohn und Heiligem Geist, nach dem Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Welt und sogar nach den Sprachkostümen, in die er gehüllt wird. Und trotzdem weiß ich: Gottessehnsucht braucht kein historisches Kostüm. Sie hüllt sich in Stille, geht barfuß und hält das Gesicht in die Sonne. Und Gott sagt: Ich bin da.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Evamaria Bohle